Wenn's doch wahr ist...

 In diesem Roman unternehme ich den Versuch einer kühnen Geschichtsklitterung. Wahrhaftige, mir aus der Familie überlieferte Fakten und geschichtliche Recherchen verbinden sich hier mit dem Fantasy-Element einer anderen humanoiden ‚Rasse‘. Diese Sammlung von Fakten brachte mir unter anderem eine amüsante Erkenntnis: mit dem Gouverneur Gustaf Oxenstierna, den ich vor dieser Erkenntnis mit einer wichtigen Rolle im Roman betraute, bin ich  entfernt verwandt, wie ich im Portal »Geni« herausfand. 16 Personen verbinden uns, allerdings angeheiratet, keine  direkte Blutsverwandtschaft.


Ich wuchs in einer deutschbaltischen Familie auf. Meine sämtlichen Verwandten, Großeltern und Eltern sprachen die drei Sprachen Deutsch, Estnisch und Russisch, die je nach Bedarf munter durcheinander geworfen wurden. Meine Mutter lobte auf Russisch und fluchte auf Estnisch. Viele Gebräuche, die ich beschreibe, wie z.B. die Wodka-Sessions mit 'Sakuski' sind mir aus der Familie wohlvertraut. Meine Ahnenforschung brachte auch eine sehr gemischte Genetik zutage. Höchstens die Hälfte meiner Gene sind deutsch. Mehrere Linien führen in leibeigene estnische Familien, die sich in den Kirchenbüchern bis ins 17.Jh. zurückverfolgen lassen. Eine Linie führt mit einem russischen Namen zu einer vermutlich Pskower oder litauischen Linie, die möglicherweise auch jüdisch war. Wir aßen viele baltische Speisen, benutzten Ausdrücke, die schon ausgestorben sind, die ich aber doch hier und da verwende. Ich habe Tallinn zweimal besucht, vor und nach dem Mauerfall. Beim ersten Besuch konnte ich mich einigermaßen auf Russisch verständigen, und auch einige Brocken Estnisch sind an mir klebengeblieben. Meine Eltern besuchten etliche Male die alte Heimat, was sie auch gefahrlos tun konnten, da sie kurz vor Kriegsausbruch die Republik Estland verlassen mussten.

Wäre nicht auch das schon Stoff für einen Roman? Vielleicht, aber da lauert die Falle der Subjektivität, die vieles für interessant hält, was es nur für den Autor, die Autorin und das nähere Umfeld ist.

Also unternehme ich hier den nicht ungefährlichen Versuch, die baltische Welt mit meinen Fantasiegestalten zu verbinden. Wie Fantasy immer, verschafft uns das größere Freiheiten. Das weite Feld des ‚Was wäre, wenn?‘ tut sich auf. Und schon muss man sich auch mit der Disziplin gürten, die auch in der Sparte ‚Fantasy‘ für die Einhaltung der Naturgesetze und für die Logik und Konsistenz von Zeit und Raum sorgen muss. Ich hoffe, dass mir das gelungen ist.

Es führt mich in eine nicht so fiktive Fragestellung hinein: Wie haben Homosexuelle im 17.Jh. ihre Neigung entdeckt und Partner gefunden? In welche Gefahren sind sie dadurch geraten? Die Verschwiegenheit auf diesem Gebiet hat natürlich eine verzweifelt dürre Quellenlage zur Folge. Je weiter wir zurückgehen, desto dünner werden die Zeugnisse von solchen Liebesbeziehungen. Nur die Fiktion einer anders gestalteten Gesellschaft gibt mir genug Spielraum, um Erzählungen für dieses, mein Lieblingsgenre, zu entwickeln. Die Zeit, in der sich mein Roman bewegt, scheint nicht ganz so prüde gewesen zu sein, denn die Homosexualität des königlichen Bruders von Ludwig XIV war relativ bekannt. Man rümpfte die Nase, es wurden sogar Leute dafür bestraft, sogar hingerichtet, aber in den gehobenen Kreisen scheinen sie recht unangefochten gewesen zu sein.

Das interessante Gedankenspiel für mich war also: Wie gehen die einzelnen Personen mit ihrer Neigung um? Ich erinnere mich, dass im Baltikum eine recht hohe Zahl von Menschen unverheiratet blieb. Ich kannte viele davon.3 Prüderie, auch auf dem Boden von pietistischer Christlichkeit, war der Grund, warum eine extreme Scheu herrschte, über solche Themen zu sprechen4. Und es ist eben diese Scheu, die ich als so pikant empfinde, dass ich ihr im Verhältnis meiner Protagonisten einigen Raum gegeben habe. Da mir die Stadt Tallinn und auch ein paar andere Orte Estlands aus eigener Anschauung bekannt sind, habe ich ein paar Orten Denkmäler gesetzt. Der Vorort ‚Altes Fischhaus‘ ist die wörtliche Übersetzung von ‚Vana Kalamaia‘, was in alter Zeit ein großes Holzhaus nah am damaligen Fischereihafen war, in dem der Fang verarbeitet wurde. Das war kein vornehmes Viertel, und zur Zeit der Handlung war es vor allem eine Fläche für den Gemüseanbau, um die Stadt zu versorgen. In neuerer Zeit hat man den Charme der alten Holzbauten wiederentdeckt. Meine Großmutter gab ihre Adresse schönfärberisch mit ‚Alte Fischermaistraße‘ an.

Ebenfalls außerhalb der Altstadt und früher mit hölzernen Wohnbauten bestückt, davor ein ländliches Gebiet mit Feldern und Gärten war ‚Blumendort‘, estnisch ‚Lilleküla‘. In dieser Idylle habe ich das Drama um Aryol angesiedelt.

In der Mauerstraße, ‚Müürivahe‘, lag die Schmiede und Gießerei meines Urgroßvaters. Noch heute verrät ein hoher Schlot auf einem Gebäude, das direkt an der Stadtmauer klebt, die ehemalige Esse der Werkstatt, rechts im Bild ganz schwach zu erkennen.

Das ‚Moritzhaus‘ ist das ‚Schwarzhäupterhaus‘, das ebenso wie das Wappen von Korsika das Mohrenhaupt mit der Stirnbinde zeigt.

Später wohnt Lohebrannt im Hinterhaus zwischen dem einstigen Marstall und der Gießerei, und an der Ecke wohnte der Henker. Dies ist alles im Stadtplan des alten Tallinn vermerkt und befindet sich in der Raderstraße schräg gegenüber von St. Nikolai. Hier kann man direkt vom Wehrgang zum oberen Eingang des Hauses gelangen. Das Vorderhaus dazu befindet sich mehrere Treppen tiefer und führt in den Hof und auf die Raderstraße, die man sich rechts auf dem Bild denken kann. Im Hintergrund die St. Nikolai-Kirche.

Wenn man sich um 180° drehen würde, stünde man unterhalb des Wehrturms ‚Kiek in de Köök‘, den ich im Roman den ‚Küchenturm‘ nenne. Er ist heute Teil der Museen im Bereich der alten Stadtbefestigung.

Ungefähre Karte der Orte im 17.Jh.

Lohebrannts zweite Wohnung: Mittiger Giebel

Estland, Livland, Ingermanland und Finnland waren zu der Zeit, als die Geschichte spielt, in schwedischer Hand, die von der Bevölkerung oft als eine ‚gute‘ Zeit bezeichnet wurde. Lohebrannt, der per Schiff von Lübeck aus in Reval/Tallinn angekommen ist, geht einige Monate später auf eine Reise nach Dorpat/Tartu und besucht namenlose Dörfer der Thiere. Über Petschory und Pskow gelangt er nach Weliki Nowgorod, von dort nach Tschernoje am Ladoga-See. Von dort erreicht er Nöteborg, das ebenfalls in schwedischer Hand ist, und reist über die kleine Schwedenfestung Nyenschanz und über Narwa, heute Grenzstadt, zurück nach Reval. 

Noch etwas zu den Birkenbriefen: In den vergangenen 20 Jahren wurden vor allem in der Gegend um Weliki Nowgorod große Mengen von Birkenrindentäfelchen gefunden, die als Schreibmaterial für eingeritzte Schrift gedient haben. Sie enthielten kindliche Schreib- und Zeichenübungen und alle möglichen persönlichen Mitteilungen. Im 12.Jahrhundert war der Grad der Alphabetisierung sehr hoch, was auf die Aktivität der Mönche zurückzuführen war. Die Rindenbriefe waren teils zusammengerollt durch Trocknungsprozesse und wurden gern als Schwimmer zum Angeln verwendet. Viele werden auch heute noch aus dem Boden geborgen. Ich habe mir dieses Material besorgt, um das mit dem Schreiben durch Ritzen auszuprobieren. Es geht hervorragend.


Anmerkungen

Zur Verbindung mit dem Gouverneur:   Das ist relativ nah. Viele kennen die Milgram-Theorie, dass wir mit jedem eine Verbindung über 6,6 Zwischenstufen haben; doch darf man Bekanntschaft nicht mit Verwandtschaft verwechseln. Auf diese trifft die Rechnung nicht zu.

Sakusken sind  Herzhafte Brothappen mit Ei oder Fisch, die unbedingt zum Schnaps gehören.

Junggesellen und Blaustrümpfe:   In meiner Familie gab es sogar vier Schwestern, die es vorzogen, bei ihrer Mutter zu bleiben, anstatt zu heiraten. Und sie hatten zwei Cousinen, die es ebenso hielten. Auch die Zahl männlicher ‚Hagestolze‘ war hoch. Da sie oft zwar sehr gelehrt, aber eher lebensuntüchtig waren, reisten sie zwischen den Gütern herum und waren dort reihum eine Zeitlang zu Gast. Darum wurden sie ‚Krippenreiter‘ genannt. Für Kost und Logis revanchierten sie sich mit Klatsch von den jeweils anderen Gütern.

Crossdresser:   Wie man mit dem Hang meiner einen Großtante zu männlichen Haarfrisuren und Anzügen umging, ist mir nicht bekannt. Auf den Gruppenfotos von Hochzeiten ist sie im Outfit dabei.

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