Freitag, 29. Dezember 2017

Was treibt ihn an? Kann Schmerz so geil sein?



Erika P. Dellert-Vambe
Was Erika P. Dellert-Vambe beschreibt, ist, wie ein Lebewesen, das zwischen Mannsein und Transsein schwankt, eine Form von Zerstörungswillen gegen sich richtet, die Bewusstsein und Körper geradezu in zwei feindliche Kräfte aufspaltet. Der Körper wird bekämpft, gleichzeitig als Lustquelle ausgebeutet, aber auf eine Weise, die nur als Raubbau bezeichnet werden kann. Extreme Selbstzerstörung macht auch den Sexpartner zum Komplizen der Autoaggression, die so provokant und verlockend ist, dass kaum jemand widerstehen kann. Der Schrei nach Liebe ertönt kaum jemals ohne die Begleitakkorde von Schmerz, Ekel und Extase. Die Autorin treibt alle Situationen im Lauf der Serie mehr und mehr in eine Ausweglosigkeit, denn ihr Held Heinrich — und heldenhaft ist er! — bringt sich selber in Lebensgefahr oder gerät in solche, wenn seine Provokationen aus dem Ruder laufen, wenn er nicht nur an geile Lover, sondern an Männer gerät, die es ernst meinen, wenn sie ihre Wut und ihren Hass auf ihn richten. Selbst gefährliche Verletzungen immer noch mit einer Form von Lust hinzunehmen geht weit über das hinaus, was wir von sadomasochistischen Aktionen erleben. Es läßt alle Partyspiele hinter sich, selbst die, die noch tagelang durch regenbogenfarbige Striemengemälde sichtbar sind. Auch dergleichen verblasst im Vergleich zu Heinrichs turbulenter Gratwanderung am Rand des Todes. Dem Leser ist abgefordert, angesichts von Entsetzen und Ekel mit dem Lesen aufzuhören, abzustumpfen oder sich auf die Suche nach dem zu machen, was auch Heinrich sucht. Bei allem Missbrauch, den er in der Kindheit und im Heranwachsen erlebt hat, weiß er, was Liebe ist, was Schönheit, Zartheit, Zuneigung, Verlust und Trauer. Der schlimmste Verlust, den ein Mensch erfahren kann, der des eigenen Kindes, zeigt die Tiefe, mit der er zu empfinden vermag.
Was also sucht er? Ist es die dualistische Idee von der Seele, die den Körper als leidvolles Gefängnis erfährt, die Qual, im Fleisch festgehalten zu werden? Ist es die Sehnsucht danach, über den Körper zu triumphieren, indem man ihn vernichtet, ohne die Kontrolle über den Geist ganz zu verlieren? Denn sich umzubringen kann man auch schneller und vermutlich schmerzloser haben.
Wie diese Suche enden wird, kann uns nur die Autorin verraten, die an einem siebten Band der Reihe arbeitet. Wird sie darin auflösen, was Heinrichen antreibt (sorry, das verlangte eine biedermeierliche Beugung) — werden wir erfahren, was das Ende seiner letztlich mystischen Erlösungssuche sein wird? Diese Spannung wurde im 6. Band nur gelindert, indem man denkt, ein Ich-Erzähler stirbt nicht. Oder doch nicht mittendrin. Aber die skrupellose Erika wäre imstande...
Der Schmerzensmann, den sein Leid bisher nicht heiligt, sondern durch Höllen führt, steht somit in einer weltanschaulichen Tradition, die jedoch meines Wissens noch niemand so radikal in die Tiefen verfolgt hat, wie es Erika P. Dellert-Vambe tut. Mit der Coolness einer routinierten Chirurgin sieht sie die Exzesse ihres Helden, lässt ihn sterben und auferstehen. Ich bin sehr gespannt, was sie ihn noch durchmachen lässt.  


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