Samstag, 11. Juli 2020
Montag, 6. Juli 2020
FAX MIT FOLGEN
Sukent, Juli 191
Der Doge saß in seinem kleinen Privatbüro im Dogenpalast und zog eine goldgeprägte Ledermappe mit der Aufschrift ‘Respondenda’ zu sich. Er schlug sie auf. Er nahm einen auf kostbarem Maulbeerpapier geradezu kalligraphisch geschriebenen Brief in die Hand, kohlschwarze Tinte und Initialen mit einer Tinte in Aubergine und Goldstaub.‘Hochverehrte Exzellenz, Doge von Sukent,
Wir danken Ihnen für das großzügige Angebot von Wachen für einen begrenzten Zeitraum. Das bedauerliche Hinscheiden einiger unserer Wachen, das nicht einmal die aufopfernden Bemühungen unserer persischen und usbekischen Ärzte verhindern konnten, macht es uns schwer, diese Bitte an Sie heranzutragen. Dennoch sind solche Kräfte der Ihrigen unersetzlich. Wir sind sehr erfreut über Ihren Vorschlag und entsenden in größter Dankbarkeit meinen Cousin, Sultangibi von Sicak-Su (meinen Innenminister), den Emir von Kalbim (meinen Verteidigungsminister), sowie meinen älteren Sohn Temiz II, der gehalten ist, die Gepflogenheiten der Diplomatie zu erlernen. Besondere Gnade Ihrerseits wäre, wenn der junge Mann einen Blick in den Lehrbetrieb Ihrer Militärakademie werfen dürfte.
Mit vorzüglicher Hochachtung,
Temiz Altindogan, Sultan von Chirkistan.
Der Doge stempelte den Brief als ‘gelesen’ und nahm sich einen Notizblock.
Hochverehrter Sultan,
auf den Besuch Ihrer Minister und Ihres geschätzten Sohnes freue ich mich außerordentlich. Ihren zuvor vermittelten Wunsch, die Wachen sollten verheiratet oder mindestens verlobt sein, werden wir bei allen vorgeschlagenen Kandidaten berücksichtigen und Ihren Abgesandten bei dieser Gelegenheit auch die Partnerinnen vorstellen. Ihre sehr geschätzte Familie wird auf Schritt und Tritt von hochqualifizierten Wachen begleitet werden. Unsere ebenfalls exzellent ausgebildeten Amazonen werden sich dem Wohl Ihres Sohnes widmen, ihm jeden Wunsch erfüllen und ihn schützen wie das eigene Leben.
Wir freuen uns außerordentlich auf Ihren Besuch,
Tanguta Gustave McIntyre, Doge von Sukent.
Er legte den Brief auf die Glasplatte seines Fax und ließ ihn durchlaufen.
Der Doge entfaltete die Zeitung des Tages mit einem Artikel über den Nationalfeiertag in Chirkistan. Und hier war auch die Familie des Sultans mit seiner Frau, den Teenager-Söhnen und kleinen Schwestern abgebildet. Der jüngere Sohn: Glattgekämmt und angepasst. Der Doge betrachtete den älteren Sohn aufmerksam. Ein Lockenkopf mit mürrischer Miene und einem kleinen Bart stand ein wenig abgerückt. Seine Körpersprache und Mimik wirkten distanziert. Als wolle er nicht zu dieser Familie gehören.
»Das ist einer von uns«, war Tangutas erster Gedanke.
NÄCHTLICHER OBSTSALAT
Wenige Tage später hielt eine Delegation aus Chirkistan Einzug in die Gäste-Apartements zu San Francesco im Stadtteil nah dem großen Hospital ‘Johannes und Paul’. In diesem ehemaligen Kloster mit romantischem Kreuzgang waren jetzt komfortable Logis eingerichtet, um die sich ein Team von Wirtschafterinnen, Dienern und Amazonen kümmerte. Die Gäste aus dem Orient wurden am Anleger empfangen und durch den ehemaligen Klostergarten, jetzt einen kleinen Park, zu den Apartements geleitet.
Eine Stunde später gab der Doge ein Essen für seine Gäste in einem Saal des Dogenpalastes. Der junge Mann war schweigsam, beobachtete aber umso aufmerksamer jede Geste und wandte sich — anders als die beiden Minister — den Dienern mit einem Lächeln zu, wenn sie ihm servierten.
Sehr viel später saß der Doge wieder über seinen Briefen. Es schlug elf, als es klopfte. Er antwortete, und die Amazone Phlox schaute herein. »Wären Sie bereit, Prinz Temiz II von Chirkistan zu empfangen?«
»Ja, gern.« Der Doge erhob sich und ging dem Prinzen entgegen. Er reichte ihm die Hand und hieß ihn willkommen. Die Hand des Jungen war weich, sehr warm und trocken. Die Zweifel schwanden.
»Phlox, bitte lassen Sie Obst und Limonade bringen«, beauftragte er die Amazone, und wenig später trat Khorasan ein und stellte das Gewünschte auf. »Oder vielleicht einen Gewürztee? Er ist noch heiß.«
Ja, der Prinz setzte sich und nickte. Tanguta goss Tee in zwei silberne Becher und reichte einen dem Besucher.
»Ist es in Ordnung, dass ich noch zu so später Stunde...« begann der Junge.
»Oh, das ist bei uns ganz normal. Wir schlafen wenig.«
»Ich auch. Vier Stunden vielleicht.«
»Gefällt es Ihnen in Sukent?«
»Hm. Aufregend. Völlig ungewohnt. Ja, es ist toll.«
»Das freut mich. Was kann ich noch für Sie tun, Prinz?«
Der Prinz wurde rot und stockte ein wenig, sagte dann aber klar und ohne Zögern: »Tanguta, küss mich!«
Samstag, 4. Juli 2020
Mama holt uns von der Party ab
Purix |
Aber nun wurde es nötig, dass ich mich ein wenig um Purix kümmerte, denn ihm war schwindelig und übel. Und auch mein Körper verarbeitete die Droge nicht wie gewünscht. Irgendwelche spannenden bunten Bilder wollten nicht so recht kommen. Also führte ich Purix hinaus in die frische Luft, winkte den Tischgenossen zu; jemand sagte: »Ihr kommt aber nachher wieder herein, es ist wichtig, dass wir jetzt zusammenbleiben, wenigstens diese Nacht...«
Wir beide verspürten jedoch den Wunsch, nach Hause zu fahren. Nur: wie? Niemand schien aufbrechen zu wollen, und eine öffentliche Barke war nicht Sicht.
Oder doch? Dort, im Schatten der Sträucher, dümpelte ein Boot. Und eben, als wir auf den Steg traten, den ein Windlicht schwach erhellte, stand jemand auf und bewegte das Ruder, und ich erkannte meine Mama. »Hab ich euch, ihr Lümmel! Los, rein ins Boot!«
Der Katzenjammer
Nichts, was ich lieber tun wollte. Sie kam längsseits. Ich half Purix hinein, der auf das Kissen plumpste; dann stieg ich hinterher. Das Schwanken fing ich ab, indem ich noch am Pfosten festhielt, dann setzte ich mich neben ihn.
Ein paar Ruderschläge weit hielt er seine Übelkeit noch unter Kontrolle, dann aber lehnte er sich mit der gebotenen Vorsicht über die Reling und beschenkte die Lagune.
Von diesem Anblick kam es auch mir hoch, und ich tat es ihm auf der anderen Seite nach. Was meine Mutter zu einer Spottrede veranlasste: »Die Prachtgondel wird von zwei anmutigen gotischen Wasserspeiern in exakt spiegelgleicher Haltung flankiert...«
»Och, Mama!« brach es aus mir hervor, »uns geht es echt nicht gut, und jetzt machst du dich noch lustig...«
»Gut, dass du es erwähnst«, stieg sie drauf ein, als hätte sie es erwartet, »Purix, möchtest du heute Nacht bei uns schlafen? Ich habe mit deinem Papa telefoniert, der Weg zu euch hinaus wäre zu weit.«
Sie schwieg eine Weile und ließ ihre Worte wirken. Wir antworteten nicht, teils aus Verlegenheit, aber auch aus Elend. Also fügte sie hinzu: »Morgen steht ein Besuch beim Doktor auf dem Plan, das ist mit ihm schon abgemacht, und die Schule gibt euch frei.«
Boah! Mama!
Sie hat wieder alles im Griff, sogar meinen Freund, und den habe ich ihr noch nicht mal vorgestellt.
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