Ann Rice starb im Alter von 80 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls, genau 19 Jahre nach dem Tod ihres Mannes, wie ihr Sohn bekanntgab.
Als Anne Roquelaure verfasste sie die ersten drei Bände ihrer "Dornröschen"-Tetralogie, im Original die "Beauty"-Reihe. Dies ist eine Romanfolge über die erotischen Abenteuer einer Prinzessin, die von ihrem Prinzen wachgevögelt und auf seinem Schloss in Dienst genommen wird. Diese zeitweilig indizierte und immer noch nicht ganz leicht zu findende Reihe ist inzwischen komplett bestellbar und hier aufgeführt: https://www.buechertreff.de/buchreihe/12696-die-dornroeschen-trilogie-the-sleeping-beauty-a-n-roquelaure-reihenfolge/
Der
vierte Band ist bislang nur in Originalsprache Englisch erschienen.
Während
die Autorin in den ersten drei Bänden noch frisch von der Leber weg
herumvögeln ließ, zeigt sie sich im vierten Band zwar immer noch
sehr erotisch und an-/erregend, jedoch begegnet man auffallend
deutlich dem Bemühen, das Buch politisch korrekt zu halten. Die
Einvernehmlichkeit der sexuellen und sadomasochistischen Handlungen
wird bewusst herausgestellt und zum Programm erklärt, wo es sich in
den ersten drei Bänden doch gelegentlich um eine Umgehung der
deutlichen Zustimmung handelt. Ich denke, das ist einer moralischen
Verschärfung zu "danken", die vielleicht sogar übertrieben
ist, denn schließlich handelt es sich im Gesamtrahmen der
Erzählungen um Märchenreiche mit Schlössern, Dörfern mit
mittelalterlichen Bräuchen und einem durch und durch fiktiven
Setting. Die Sorge um Korrektheit ist merklich einem Zeitgeist
geschuldet, der mit Neoprüderie die kleinsten Verstöße ahndet, wie
berechtigt auch die Aufdeckung großer Verstöße sein mag.
Hinzu
kommt, dass es schlechterdings sehr schwierig und aufwendig
wäre, die Verhältnisse so zu rekonstuieren, die in den Romanen
geschildert werden, dass man die sehr reizvollen
Sklavenversteigerungen oder -bestrafungen im realen Leben nachspielen
könnte. Möglich, dass dieser Roman aber doch an einigen Orten wie
dem Catonium mit seiner gotischen Halle für die Gestaltung der Räume
Pate gestanden haben mag.
Die
drei ersten Dornröschenbücher sind aufregend und süß. Sie sind
ein typisches Beispiel dafür, wie ein fröhlicher, unschuldiger und
menschlich korrekter Sadomasochismus literarisch vorgestellt und ins
echte Leben integriert werden kann. Die Handlung stößt sich wenig
daran, dass sich auch einmal Männer miteinander in ein sexuelles
Gerangel einlassen, es gibt allerlei Varianten von Machtgefälle,
Diener dienen den Herrschaften, Gastwirte bedienen sich an ihren
Mägden, oder diese werden von der Wirtin mit harten Wurzelbürsten
in der Holzbütte abgeschrubbt, ungeachtet, dass eine davon eine
Prinzessin ist. Verstöße gegen die Regeln fliegen auf und werden
mit drastischen, aber niemals schädlichen Mitteln bestraft. Die
bockige Prinzessin wird also durch Verbannung ins Dorf erniedrigt,
auch eine Entführung durch orientalische Piraten bringt Farbe in das
Spiel, menschliche Ponies werden ausführlich dressiert und
eingesetzt, Rollen werden getauscht, die anfangs erniedrigte
Prinzessin wird schließlich auch in einer herrschenden Rolle
gezeigt.
Ich
verdanke dieser Autorin, die uns zwar in hohem Alter, aber irgendwie
doch zu früh verlassen hat, dass ich meine Leidenschaft entdeckte.
Ich war da schon 40 Jahre alt, aber endlich lief mir da eine
Literatur über den Weg, die sich mit meinem Körper kurzgeschlossen
hat.
Während
viele Schauermärchen von tragisch endenden "Sado-Maso"-Dramen
(Gott straft die Sünder!) unzensiert die Medien erreichen durften,
hat uns die Zensur, getarnt als Jugendschutz, jahrelang eines der
wenigen Werke vorenthalten, die ich auch Jugendlichen zu lesen
gestatten würde, denn sie sind moralisch weit erhaben über den
reaktionären Dreck, der sich per Internet in die Handys von Kindern
verteilt und ihnen ein menschenverachtendes Geschlechterverhältnis
vorlebt.
Wenn die Kids schon so gruselig aufgeklärt sind, könnten die
Dornröschenbücher vielleicht sogar die Medizin sein, die eine
spielerische, unbeschwerte Sexualität vorführen, eine, bei der
Frauen bei allen Schikanen letztlich nicht verachtet werden, sondern
ebenso triumphierend aus den Prüfungen hervorgehen können. Eine
Verfilmung dieser Bücher könnte der glückliche Ausweg aus dem
Konflikt zwischen den Polen sein, die heute das Spannungsfeld
definieren, zwischen hemmungsloser, patriarchaler Ausbeutung von
Frauen im Online-Porno und einer verkniffenen Neo-Prüderie aus
amerikanisch-puritanischem Geist.
Es ist bedauerlich, dass Ann Rice
fast nur für ihren Vampir-Roman bekannt ist, so gut er sein mag, und
nicht für die Bücher, die ihre zutiefst humane und liebevolle
Einstellung zur Sexualität allgemein und BDSM speziell ausgedrückt
haben.
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