Dienstag, 14. Dezember 2021

Der sadomasochistische Paradiesgarten hat seine Schöpferin verloren

 

Ann Rice starb im Alter von 80 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls, genau 19 Jahre nach dem Tod ihres Mannes, wie ihr Sohn bekanntgab.

Als Anne Roquelaure verfasste sie die ersten drei Bände ihrer "Dornröschen"-Tetralogie, im Original die "Beauty"-Reihe. Dies ist eine Romanfolge über die erotischen Abenteuer einer Prinzessin, die von ihrem Prinzen wachgevögelt und auf seinem Schloss in Dienst genommen wird. Diese zeitweilig indizierte und immer noch nicht ganz leicht zu findende Reihe ist inzwischen komplett bestellbar und hier aufgeführt: https://www.buechertreff.de/buchreihe/12696-die-dornroeschen-trilogie-the-sleeping-beauty-a-n-roquelaure-reihenfolge/

Der vierte Band ist bislang nur in Originalsprache Englisch erschienen.

Während die Autorin in den ersten drei Bänden noch frisch von der Leber weg herumvögeln ließ, zeigt sie sich im vierten Band zwar immer noch sehr erotisch und an-/erregend, jedoch begegnet man auffallend deutlich dem Bemühen, das Buch politisch korrekt zu halten. Die Einvernehmlichkeit der sexuellen und sadomasochistischen Handlungen wird bewusst herausgestellt und zum Programm erklärt, wo es sich in den ersten drei Bänden doch gelegentlich um eine Umgehung der deutlichen Zustimmung handelt. Ich denke, das ist einer moralischen Verschärfung zu "danken", die vielleicht sogar übertrieben ist, denn schließlich handelt es sich im Gesamtrahmen der Erzählungen um Märchenreiche mit Schlössern, Dörfern mit mittelalterlichen Bräuchen und einem durch und durch fiktiven Setting. Die Sorge um Korrektheit ist merklich einem Zeitgeist geschuldet, der mit Neoprüderie die kleinsten Verstöße ahndet, wie berechtigt auch die Aufdeckung großer Verstöße sein mag.

Hinzu kommt, dass es schlechterdings sehr schwierig und aufwendig wäre, die Verhältnisse so zu rekonstuieren, die in den Romanen geschildert werden, dass man die sehr reizvollen Sklavenversteigerungen oder -bestrafungen im realen Leben nachspielen könnte. Möglich, dass dieser Roman aber doch an einigen Orten wie dem Catonium mit seiner gotischen Halle für die Gestaltung der Räume Pate gestanden haben mag.

Die drei ersten Dornröschenbücher sind aufregend und süß. Sie sind ein typisches Beispiel dafür, wie ein fröhlicher, unschuldiger und menschlich korrekter Sadomasochismus literarisch vorgestellt und ins echte Leben integriert werden kann. Die Handlung stößt sich wenig daran, dass sich auch einmal Männer miteinander in ein sexuelles Gerangel einlassen, es gibt allerlei Varianten von Machtgefälle, Diener dienen den Herrschaften, Gastwirte bedienen sich an ihren Mägden, oder diese werden von der Wirtin mit harten Wurzelbürsten in der Holzbütte abgeschrubbt, ungeachtet, dass eine davon eine Prinzessin ist. Verstöße gegen die Regeln fliegen auf und werden mit drastischen, aber niemals schädlichen Mitteln bestraft. Die bockige Prinzessin wird also durch Verbannung ins Dorf erniedrigt, auch eine Entführung durch orientalische Piraten bringt Farbe in das Spiel, menschliche Ponies werden ausführlich dressiert und eingesetzt, Rollen werden getauscht, die anfangs erniedrigte Prinzessin wird schließlich auch in einer herrschenden Rolle gezeigt.

Ich verdanke dieser Autorin, die uns zwar in hohem Alter, aber irgendwie doch zu früh verlassen hat, dass ich meine Leidenschaft entdeckte. Ich war da schon 40 Jahre alt, aber endlich lief mir da eine Literatur über den Weg, die sich mit meinem Körper kurzgeschlossen hat.

Während viele Schauermärchen von tragisch endenden "Sado-Maso"-Dramen (Gott straft die Sünder!) unzensiert die Medien erreichen durften, hat uns die Zensur, getarnt als Jugendschutz, jahrelang eines der wenigen Werke vorenthalten, die ich auch Jugendlichen zu lesen gestatten würde, denn sie sind moralisch weit erhaben über den reaktionären Dreck, der sich per Internet in die Handys von Kindern verteilt und ihnen ein menschenverachtendes Geschlechterverhältnis vorlebt.

Wenn die Kids schon so gruselig aufgeklärt sind, könnten die Dornröschenbücher vielleicht sogar die Medizin sein, die eine spielerische, unbeschwerte Sexualität vorführen, eine, bei der Frauen bei allen Schikanen letztlich nicht verachtet werden, sondern ebenso triumphierend aus den Prüfungen hervorgehen können. Eine Verfilmung dieser Bücher könnte der glückliche Ausweg aus dem Konflikt zwischen den Polen sein, die heute das Spannungsfeld definieren, zwischen hemmungsloser, patriarchaler Ausbeutung von Frauen im Online-Porno und einer verkniffenen Neo-Prüderie aus amerikanisch-puritanischem Geist.

Es ist bedauerlich, dass Ann Rice fast nur für ihren Vampir-Roman bekannt ist, so gut er sein mag, und nicht für die Bücher, die ihre zutiefst humane und liebevolle Einstellung zur Sexualität allgemein und BDSM speziell ausgedrückt haben.


 

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