Sonntag, 3. September 2017

Wer hat's erfunden? Teil II: Von der Freiheit, ein Sklave zu sein

Fortsetzung — 1. Teil


Die Geisteshaltung dieses Movements war emanzipatorisch, lehnte sich an die Schwulenbewegung an und wurde von nach innen und nach außen wirkenden Zielsetzungen getragen. Nach innen, auf die Mitglieder gerichtet, hatte die Gemeinschaft das Ziel, jene von dem Odium des Verbrecherischen bzw. des Lebensuntüchtigen und Kriecherischen zu befreien. Vor allem aber ging es um die Beendigung von Schuldgefühlen, um die Beendigung der Annahme, man sei mit seiner Perversion allein auf der Welt. Nach außen war die Absicht, dies der Öffentlichkeit zu übermitteln, u.a. der Polizei, der Presse, den Behörden, dem Gesundheitswesen. Die geduldige Arbeit der genannten Initiativen hat dazu geführt, dass Menschen mit einer Neigung zu BDSM nicht mehr als krank betrachtet werden. In der Kielwelle der Gay Liberation ist es gelungen, die Einstufung zu verändern und SM somit aus der Schattenzone der Gewaltverbrechen herauszuholen.
Dieses Ziel ist noch nicht ganz erreicht, aber wir sind ihm ein gutes Stück näher gekommen.
Untrennbar vom politischen Ziel ist die Bewusstseinsbildung. Nur wenn die Grundhaltung eine der „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ ist, wie es die Französische Revolution formulierte und wie es zur Grundlage der amerikanischen Verfassung wurde, kann es eine solche Bewegung für sich in Anspruch nehmen, politisch fortschrittlich zu sein. Die Quadratur des Kreises ist, in eine solche Richtung wiederum das einzubetten, was von den Vordenkern politischer Befreiung auf das Schärfste bekämpft wurde, nämlich — Sklaverei.
Für die Vertreter politischer Befreiungsbewegungen müsste sie eigentlich vollkommen inakzeptabel sein, wenn sie nicht folgenden Grundsätzen gehorchen würde:
— Die Unterwerfung muss körperlich und emotional sicher geschehen, so dass kein Beteiligter einen irreversiblen Schaden erleidet,
— die Aktivitäten müssen aus einem klaren Bewusstsein heraus ausgeführt werden,
— die vollkommene Einvernehmlichkeit muss zu jeder Zeit gewährleistet sein.
Das setzt natürlich voraus, dass alle Beteiligten zu jeder Zeit von ihrem vollen Recht als menschliche Wesen bekleidet bleiben, welche Experimente sie auch ausführen mögen, welche Erniedrigung und körperliche Behandlung sei auch erfahren mögen. Sie bleiben in allen diesen Situationen ein Mensch mit allen Grundrechten. Sie sind Staatsbürger mit Wahlrecht und allen anderen bürgerlichen Rechten. BGB und StGB sind zu keiner Zeit außer Kraft gesetzt.
Verantwortungsvolle Tops wissen das besser als ihre Subs. Indem sie sich dessen ständig bewusst sind, schaffen sie den Freiraum für Gefangenschaft. Subs können diesen Raum dann genießen und sich in Gefangenschaft begeben.
Zum vollkommenen Genuss gehört natürlich die Illusion einer echten Unfreiheit. Je stärker das Gefühl, eine Selbstbefreiung sei unmöglich, desto stärker der Kick. Und so, wie ein Vorhängeschloss den ungleich stärkeren Kick liefert als eine leichte Seilbondage, so wünscht und verlangt so manches Sub seine Selbstaufgabe in der Macht von Herr oder Herrin.
Und ebenso verlockend und romantisch ist der Gedanke, jemanden zu besitzen, ihm/ihr den eigenen Willen aufzuerlegen. Diese Unfreiheit indessen hat Grenzen. Und diese werden nicht von der schnöden, blöden Außenwelt gesetzt, so dass man seine Dornröschen-Welt nur im Privaten verkapseln muss, und alles ist gut. Eine Störung des Paradieses wird nicht von der Notwendigkeit, arbeiten zu gehen, verursacht, sondern diese ist nur ein Zeichen, dass unser bürgerliches Leben nicht einfach aufhört! Unser bürgerliches Leben ist ja (Millionäre ausgenommen) die Grundlage dafür, dass wir die Lebensform des Machtgefälles genießen können.
Aus all diesem folgt, dass wir die Freiwilligkeit als Grundlage unseres Paradieses hüten müssen. Freiwilligkeit, Wohlergehen, Bewusstsein müssen permanent im Blick bleiben, damit alles beobachtet wird, was eine ungute Tendenz zu werden droht. Top lässt keine Kritik an sich zu? Regiert auch da nach Gutsherrenart, wo es dem Sub wirklich nicht mehr gut geht? Sub muss Raum bekommen, um seine Kritik vorzutragen. Das ist keine Frechheit, keine Unbotmäßigkeit, nichts, wofür Strafe angedroht werden darf. Top hat die Pflicht, sich das anzuhören.
Und in diesem Moment besteht Augenhöhe. Jetzt spricht Mensch zu Mensch.
Ich weiß, dass einige das nicht gern hören. Sie glauben, sie würden dann aus der Rolle fallen. Sie meinen, sie können alles klären, ohne dass Top sein Top-Sein auch nur für Sekunden ausschaltet.
Pardon, aber wer denkt, er müsse sich niemals was sagen lassen, ist größenwahnsinnig.
In guten Zeiten mag das funktionieren. Solange die Beziehung frisch und intakt ist, kann man sich nichts anderes vorstellen. Wir schweben auf einer Wolke. Euphorie ist angesagt. Alles gelingt, alles ist schön. Wir betrachten es schon als Frevel, überhaupt an eine Krise zu denken.
Wenn jemand ein Mietverhältnis eingehen will, ist am Anfang noch alles gut. Wenn aber ein Vermieter sagen würde: „Wir brauchen keinen Mietvertrag, wir verstehen uns doch bestens“ — oder gar: „Einen Mietvertrag machen wir, wenn wir ein Problem bekommen“, dann würden wir sagen, der ist verrückt.
Wenn ich davon rede, ein Top und ein Sub sollten einen schriftlichen Vertrag aufsetzen, ist das dann verrückt? Wo ist der Unterschied?
Mieter und Vermieter sind nicht in einander verliebt. Meist nicht. Schon richtig. Aber sind es nicht gerade die Liebesbeziehungen, die damit enden, dass die Partner sich fetzen wie nichts Gutes?
Zu glauben, dass die eigene Beziehung deshalb friedlicher ist, weil die Rollen klar verteilt sind, mag ein gutes Stück weit tragen. Aber zu glauben, dass es niemals Probleme geben wird, heißt, sich in die Tasche zu lügen.
Wir sollten nicht vergessen, dass das Grundgesetz von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen spricht. Auf dieser Grundlage errichten wir ein Machtgefälle. Es gebürt den Vätern des Grundgesetzes Dank, dass es diese Freiheit gibt; und wir müssen dem Strafgesetzbuch dankbar sein, dass es ein Instrument ist, ohne das Missbrauch nicht bekämpft werden kann. Es ist ein Instrument, das das Einnisten von Soziopathen und Triebtätern in den Schutzraum BDSM verhindern helfen kann — wenn die Gemeinschaft wach ist und sich ihrer rechtlichen Grundlagen bewusst bleibt. Missbrauch, destruktive Beziehungen werden zuallererst von den Subs erlitten, und darum müssen sie es sein, die ihre Verantwortung erkennen, ihre Situation analysieren, ob sie in den gegebenen Umständen wirklich glücklich sind. Wo nicht, muss die Beziehung korrigiert werden, nicht das Recht. Ein Top, der sich nicht einem ehrlichen Gespräch auf Augenhöhe stellen kann, der nicht ein vitales Interesse daran hat, das Wohlbefinden seines/seiner Sub wiederherzustellen, ist kein guter Top. Ein(e) Sub, die nicht den Mut hat, sich einem solchen Gespräch zu stellen, sollte sich überlegen, ob er/sie vielleicht in einer missbräuchlichen Beziehung steckt. Sie sollte sich mit anderen zusammentun, die in der gleichen Lage sind.
Denn Top und Sub müssen wissen, dass Subs jederzeit das Recht haben, eine Aktion abzubrechen, die sie nicht ertragen können, was auch immer vorher abgesprochen war. Verantwortungsvolle Tops wissen das und werden beim Stopwort abbrechen, auch wenn 40 Jahre lang alles prima war — ja, sie werden darauf bestehen, dass es eins geben muss, auch wenn das Sub in seiner Euphorie keins will.

3 Kommentare:

  1. Hallo Lilith,
    als großer Fan Deiner Literatur (Wie man eine Herrin findet, Homsarecs .... beides wunderschön )Das erste Buch hat mir sehr geholfen meine Denkweisen in Frage zu stellen und mein Verhalten zu korrigieren. Das hat es mir erst ermöglicht mich selber fallen zu lassen, Dinge geschehen zu lassen die ich vorher nie erahnen konnte, als vielleicht immer noch Anfänger, sich komplett fallen zu lassen, einfach "aufzugeben" gibt das absolute Glücksgefühl, eine Freiheit die ein "Stino" nicht nachvollziehen kann.
    Dein Buch "Wie man eine Herrin findet" ist für mich mehr als nur ein Ratgeber, es hat mich geformt. Und mir dadurch die Möglichkeit gegeben mich wirklich und endlich fallen zu lassen. Aber und jetzt kommt die Kritik: In diesem Buch war ALLES für mich plausiebel, ich habe alles in mir aufgenommen bis auf eine Sache die Du mit diesem Text vielleicht aufgehoben hast (Danke, oder habe ich etwas falsch verstanden ): Bitte trage ein was Du von Deiner Herrin erwartest :-) Deine richtige Antwort wäre : Nichts. Ich habe trotzdem etwas eingetragen: Das ich von Ihr geachtet werde, also als Mensch anerkannt... nicht nur als Sklave. Ein Zusammenbruch kann irgendwann immer passieren, wenn ich mich einer Herrin unterwerfe werde ich alles tun was Sie von mir verlangt, es ist das höchste Glücksgefühl sich der richtigen, der RICHTIGEN Dame zu unterwerfen,.. für Sie immer wenn möglich, ja wenn möglich dazusein aber vielleicht irgendwann geht nichts mehr und dann möchte man diese Situation erleben, dass Sie in der Lage ist ( und es vielleicht auch tut ) einen in den Arm zu nehmen, zu trösten und Ihren Sklaven, diesen Menschen wieder hoch zu bringen. Hey, ich habe Jahrelang Ihren Abwasch gemacht, Ihre Wäsche aus den Keller geholt ;-) Habe Sie Lieben gelernt und Ihr das gezeigt und Ihr erzählt und Sie Bewundert und mich vor Ihr niedergekniet. Vielleicht gibt es Menschen die keine Forderungen / Erwartungen haben. Situationen gibt es genug wo ich als Sklave alles an Notstop ausschalten kann, aber als Mensch habe ich die Erwartung mich in die Arme einer Frau zu begeben bei der ich mich behütet fühle, bei der ich mich fallenlassen kann, für die ich alles tue, aber die mich im Notfall auch auffangen kann. Ich denke das war der einzige Punkt in dem Buch der mich etwas gestört hat. Vielen Dank für diesen Text und ... Alles Liebe Dir, Du hast mir mit dem Buch sehr geholfen. Danke! Michael - Michelle

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  2. Lieber Michael/Michelle, hab vielen Dank, dass Du Dir die Mühe gemacht hast, so einen langen Text zu schreiben, und ich bin bewegt, dass das so eine Wirkung hatte, was ich mal geschrieben habe.
    Es ist ja doch eine Verantwortung, und ich bemühe mich immer, ihr gerecht zu werden, und schreibe nichts leichtfertig.
    Nun ist ja geraume Zeit vergangen, seit ich das Buch geschrieben habe. Deine Kritik ist somit möglicherweise berechtigt, ich habe sie nicht ganz verstanden. Auf jeden Fall wünsche ich jedem sub, jedem Sklaven, dass die Hingabe und Mühe, wie du sie beschreibst, von Liebe beantwortet wird, denn ich finde es wirklich keine zu hohe Forderung, den Sub auch mal in den Arm zu nehmen und ihn aufzufangen.
    Das ist eine Mahnung, die ich dann aber in ein Buch für die Ladies schreiben müsste, ich denke nur, die haben entweder keine Ratschläge nötig oder würden sich auch dagegen verwahren.
    Ich nenne hier noch mal meine Facebook-Adresse. Wenn du noch einmal Kontakt mit mir aufnehmen möchtest, können wir es auch so tun.
    Dein Kommentar ist mir leider eben erst aufgefallen, es tut mir leid, dass du so lange hast warten müssen. Jedenfalls danke ich dir nochmals sehr für deine freundliche Bewertung. Erkläre mir gern noch mal genauer, was du kritisieren möchtest, ich betrachte das auf jeden Fall als angebracht und hilfreich, wenn jemand auch was kritisch anzumerken hat.
    Freundliche Grüße
    LiDo

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  3. https://www.facebook.com/lilith.dandelion

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