Samstag, 20. Juli 2019

Der siamesische Zwilling Eszett und seine Ursprünge

Die Reformer versprachen, nur die Schreibung werde sich ändern, nicht die Sprache. Heute, da sich eine Generation an neue Schreibungen gewöhnt haben, zeigt sich, dass die Sprache Veränderungen erfahren hat. Und sie sind nicht zum Guten.
Die erste Folge ist eine verstärkte Abkoppelung von den Schreibweisen der Nachbarn.
In der Schweiz hat man sich für den Wegfall des ß entschieden und ersetzt durchgehend durch Doppel-S. Diese Abschaffung zog sich von 1938 bis 1974 hin. Diese Abschaffung ist natürlich logisch in einem Land, das neben dem Deutschen auch die italienische und französische Sprache in Teilen der Bevölkerung gebraucht. Es scheint bestens zu funktionieren.
Manche sind der Annahme, das ß verdanke sein Dasein der Unterscheidung von langen und kurzen Vokalen, doch ist das ein Irrtum.
Sagten wir denn vorher Kuuuß oder Schluuuß? Lautet es nicht in manchen Mundarten daaaß und Spass? Nein, die Funktion des ß ist nur in Ausnahmefällen Anzeiger von Lauten, sondern es ist in erster Linie:
* eine Kombination aus langem S und rundem S *.

Es hatte vor allem in der Fraktur eine wichtige Aufgabe, nämlich lange Wortkombinationen auch ohne Trennzeichen in sinnvolle Abschnitte zu gliedern, wie Schlußappell, Flußschleife, Paßvergehen oder Fraßfeind. In der Antiqua und Grotesk, wie wir sie heute gewohnt sind, ist das natürlich nicht so wichtig wie in einer Frakturschrift, so dass wir die Bedeutung des Schluss-Signals durch das runde S vergessen haben.
Es wäre also an der Zeit, ganz auf das ß zu verzichten und uns der schweizerischen Schreibung anzupassen. Das wäre ein schönes Signal des Internationalismus, eine Erleichterung für die Schreibung, und vor allem: Es würde uns die grauenhafte Missgeburt eines großen ß ersparen, das nur deshalb so energisch von Typografen verfochten wird, weil sich mit dem Entwurf und der Digitalisierung eines neuen Zeichens für jeden Schriftschnitt ein Haufen Geld verdienen lässt. Ich weiß das, ich war in der Schriftdigitalisierung tätig.
Ein Zurück zum ß sehe ich nicht. Zu altertümlich ist seine Anwendung, und die Arbeitsbeschaffung als Lautanzeiger ist mehr als dünn.
Seien wir mutig. Seien wir international.
https://widerdiedummheit.blogspot.com/2018/02/mit-pomp-in-der-typo-szene-gefeiert-das.html
https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9F

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