Freitag, 10. Juni 2022

Aus "Des Schreibers wilde Träume", in Vorbereitung

Der Kommandant von Nowgorod ist auf dem Fluss Wolchow nach Norden gereist, um 'Deserteure' festzunehmen, wie er sie nennt. Es sind seine beiden Kundschafter, Dima und Kilka, der 'Strömling'

Die Bewirtung nahm also ihren Lauf. Sachárin wurde zugleich in Gespräche verwickelt, die ihn so beschäftigten, dass er nicht mehr darauf achtete, ob der abgesetzte Kommandant noch bei Tische blieb, und auch nicht darauf, das wievielte Glas es sei, das er hinunterstürzte. Nichts schmeckte so sehr wie das leicht süßliche, herrlich weiche Schwarzbrot mit den roh eingelegten Happen eines weißen Fisches, des edlen Schnepel, auf Büschen von Dill serviert. Köstliche Flusskrebse wurden gebracht, aufgereiht wie die englischen Rekruten auf dem Kasernenhof und in ebenso rote Röcke gekleidet. Schwarzer Kaviar türmte sich auf dem Gelben halber Eier, und die schrumpelige Haut sauer eingelegter Neuaugen versprach den festen Biss ins Fleisch dieser seltsamen Weichtiere.

Just da wollte Trofim Nachschub des Brotes bringen, das Nirk gebacken hatte.

»Potztausend, kommt der Strömling von allein zu Tisch!« polterte Sachárin, den im volltrunkenen Zustand zuerst der kritische Verstand verließ, während sein Sinn für Humor noch eine Weile überlebte.

Denn da stand Trofim in der Tür und starrte entgeistert auf den betrunkenen Gast. Hinter ihm erschien die riesige Gestalt von Wolk, und einen Moment war ihm, als sei auch ein junger Tatare mit schwarzen Haaren bis auf seinen Gürtel im Korridor aufgetaucht.

Trofim drückte das Brottablett rasch dem in die Hand, der am nächsten stand. Blitzartig drehten er und Nirk sich um und flitzten nach draußen, gefolgt von ihren Beschützern. 

Sie rannten aus dem ebenerdigen Festsaal, einem Holzhaus im Hof der Festung, hinaus durch das Tor und durch eine weitere Ansammlung von Holzhäusern hinunter zum Ufer des Stroms, wo die Boote lagen.

Sachárin sprang auf und warf dabei sein Glas um. »Nehmt sie fest!« schrie er, das sind Deserteure!«

Nun erhoben sich auch die Baschkort, ungern, denn die lange Fahrt hatte sie ermüdet und hungrig gemacht. Einige Strecken hatten sie doch rudern müssen, vor allem Ordukhan hatte sich da sehr ins Zeug gelegt. Aber ihrem Kommandanten durften sie sich nicht widersetzen, und so schlichen sie mehr hinaus, als dass sie rannten. Sie sahen die Vier, die sich dem Festessen hatten zugesellen wollen, auf den Bootsteg hinauslaufen.

Hier hatte Koldai, der sich unauffällig vom Bankett entfernt hatte, bereits die Rusalka klargemacht, Segel gesetzt und hielt schon das Seil, um sie loszumachen. Raptor, Wolk und Nirk sprangen auf. Trofim erreichte den Steg als letzter.

»Danke, Großväterchen!« rief Trofim, als sie an Bord waren, und die Rusalka zerrte wie ein ungeduldiges Pferd, als der Abendwind in ihr Segel griff. Koldai machte die letzte Schlinge los, warf das Seil aufs Heck und wandte sich den Ankommenden zu.

Die wohlbekannte Rusalka nahm nun Fahrt auf, während Sachárin mit zornigen Zurufen seine Baschkort anfeuerte, die viel größere Nadeshda loszumachen und Segel zu setzen. Um sie schneller zu machen, nahm er nur Eschek und Ordukhan mit an Bord. Und aus eben diesem Grund ließ er das Stück, die kleine Kanone, an Land, was einfach war, da sie auf einer hölzernen Stellung ruhte. Fast wäre sie von dem etwas geneigten Steg ins Wasser gerollt.

»Mein Gott, wie wollen sie die Nadeshda zu dritt segeln?« murmelte einer der Baschkort, die an Land blieben. Ein paar Mann liefen auf dem Ufer hinterher, doch endete der Uferweg auf einer Landzunge zwischen dem großen Strom Wolchow und einem kleineren, der Yelena, und damit war das Rennen vorbei.

Sachárin sah, dass vier Mann an Bord der Rusalka waren, und sie waren dabei, sich zu bewaffnen. Er sah, dass sie Bögen und Streitäxte aus einem Laderaum der Fleute zogen, und nun bereute er, dass er das Stück hatte ausladen lassen. Und schließlich wollte er die Bengel lebend haben, es hätte nichts genützt, die Rusalka im Fluss zu versenken. Denn auch die war Gegenstand seiner Wünsche.

Endlich war Ordukhan so weit mit seinem Bogen – ihn zu spannen machte ihm heute mehr Mühe als sonst – und legte einen Pfeil ein. Eschek wurde am Steuerruder gebraucht.

»Auf wen soll ich zielen?« fragte er.

 

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