Ein weiteres Buch: Novellen aus den Achtzigern. Diese schrieb ich mit etwas mehr literarischem Anspruch, dafür sind sie BDSM-frei. Dennoch fehlt es ihnen nicht an Brisanz. Transsexualität, Vergewaltigung, Burka, schwule Liebe über eine politische Kluft hinweg sind die Themen. Geschichten aus einer Welt ohne Handys und ohne Internet. In wenigen Tagen erhältlich, 216 Seiten, 14 farbige Illustrationen im Innenteil, traditionelle Rechtschreibung, 14,90 €.
Auszüge aus der Novelle
Die unsichtbare Frau
1
... Liebe
beginnt immer mit steilem Aufstieg. Manchmal sogar mit dem Höhepunkt. Sie folgt
genau umgekehrt der Dramaturgie, die wir im Deutschunterricht für den Aufsatz
lernen. Nach dem Gipfel schleppt sich die Handlung in die Ebene, sich gnadenlos
verlangsamend, und du erfährst — ebenfalls in sauberem Gegensatz zum Aufsatz — immer
weniger. Einen Monat lang waren sie blödsinnig verliebt gewesen und hatten mehr
Zeit im Bett verbracht als außerhalb. Dann zankten sie sich: Armand hatte
irgendwas geäußert, woran die versierte Leserin des „Märchenprinzen“ den Macho
erkennt; wahrscheinlich war es ein Verriß des beliebten Breviers für die linke
Frau; vielleicht hatte er sich soweit verstiegen zu sagen, sie müsse sich nicht
wundern, als linke Frau auch nur linker Hand geehelicht zu sein. Ja, das hat er
gesagt, Gott verzeih’s ihm. Er hat nicht beabsichtigt, sie zu demütigen, sagte
er wenigstens später, nein, er habe doch wirklich nur die Unlogik geißeln
wollen, mit der seine Geliebte die bürgerliche Ehe verwarf und sie zugleich als
ihre persönliche Lebenserfüllung anstrebte.
Welche
Ohrfeige ins ehrliche Angesicht! Welcher Lohn für den heldenhaften Verzicht auf
ein weißes Kleid und Einbauküche!
Die
erste Wunde war geschlagen, die erste Narbe verunzierte unheilbar ihre Liebe.
Armand
war enttäuschst und fühlte sich unverstanden. Er suchte durchaus eine
ebenbürtige Partnerin, keine, die er unterdrücken wollte, das warf sie ihm zu
Unrecht vor. Und so kam er denn auch immer wieder an Frauen, die durchaus
gescheit waren, aber sie schienen dem Frieden nicht zu trauen und nach ersten
Gesprächen in eine Art Tarnverhalten überzugehen, und gaben so dumme
Antworten, daß Armand wähnte, intellektuellen Mogelpackungen aufgesessen zu
sein, während doch die Mädels mit halber Kraft fuhren, um ihn desto heller
erstrahlen zu lassen.
Wenn
er gerne zuhörte, anstatt den belehrenden Doktor Doolittle zu geben, so lag das
an der Entdeckung, daß der Undercover-Agent sicherer ist als der Krieger auf
freier Fläche. Leute, die ihn belehrten, erschütterte er gern in ihren
Grundfesten durch naive Fragen, sobald er ihre Wissenslücken spürte.
Vorzugsweise bei studierten Gesprächspartnern kam das gut. Hinterließ auch oft
bleibende pädagogische Wirkung.
Es
waren selten Frauen, die er auf diese Weise bloßstellte. Hier war die
Stoßrichtung eine andere, nämlich sie zu provozieren. Aus der Erfahrung, nicht
für voll genommen zu werden, aus der Erfahrung der unzähligen Kränkungen, die
Frauen durch Männer erfahren, wenn sie ihr Stimmchen erheben, kam die Energie
für den empörten Höhenflug.
Armand
liebte diese Empörung, er begehrte Frauen besonders heftig, wenn sie mit
blitzenden Augen auffuhren. Er besänftigte ihren Zorn so weit, daß die
Demütigung gesühnt war, aber eben nur so weit, daß noch genug Schmähungen auf
ihn niederprasselten, auf den Lumpenkerl, der sie so hereingelegt hatte, daß
der Aufwind für einen Scheinkampf mit wohldosiertem Widerstand noch
ausreichte.
„Will
ich Plätzchen backen? Oder Blockflöte spielen?“ fragte er, wenn seine
Freundinnen etwa Kerzenlicht für angesagt hielten und eine Schmuseplatte
rotieren ließen, „das Leben ist Kampf, eine stimmungsvolle Kuschelstunde ist
der Tod, vor allem, wenn arrangiert.“ Armand liebte an den unpassendsten Orten
und zu den unpassendsten Zeiten — oder machte da wenigstens den Anfang. Er
vertrat die Ansicht, ein Softie sei ein Mann, der einer Frau zuliebe seinem
Sexus zu befehlen versuche; ein Macho dagegen gehorche seiner Natur und
verlange daher von der Frau Anpassung. Darum führe Softietum früher oder später
zu Siechtum und Impotenz...
2
Wo
findest du den Jüngling?
Richtig.
Vor dem „Eisberg“, dem Treffpunkt der Jugend an den immer noch sommerlich
heißen Septembertagen. Da pirschte sie sich von hinten an ihn heran, wie er
eben zierlich sein Eis bändigt, und murmelt so, daß niemand sonst es hört: „Gehn
wir zu dir oder zu mir?“
Bedächtig
und ohne sich von seinem Eis abzuwenden, antwortet er: „Aber ich wohne in
Ellerbach.“
„Und?“
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Junger Mann, Aquarell |
Er
hebt den Blick, den er fast die ganze Zeit auf sein Eis gerichtet hat, der nur
mal unsicher von der Seite zu ihr hinflatterte, und hat verloren. Sternchen??
Dies ist die Aurora, der Panzerkreuzer, der seinen Widerstand niederschießt,
Sturm auf den Winterpalast, das Ende des Zarewitsch.
Die ganze Zeit, als sie es taten, hat er gezittert. Er
muß ihr nicht verraten, daß es das erste Mal ist. Was bleibt ihm anderes
übrig, als auf dem Rücken zu liegen wie ein Käfer und seinen Succubus machen
zu lassen.
Nach und nach faßt er sich ein Herz, sie anzusehen
und anzufassen: „Wo ist der Leberfleck?“
„Bluff
nicht!“ lacht sie, „ich habe keinen.“
„Schade.
Wir brauchen einen Schönheitsfehler, sonst kann ich dich nicht lieben.“
Überrascht
hebt sie den Kopf.
„Wie
meinst du das?“
„Meine Geliebte darf nicht perfekt sein.“
Wieder
lacht sie.
Da
sieht er, daß ihre Zähne ein wenig schief sind, der eine Schneidezahn tritt
etwas hinter den anderen zurück. „Das ist es!“ Er zeigt begeistert darauf.
Verschämt preßt sie die Lippen zusammen.
Sie
geniert sich manchmal zu lächeln. Aber dazu wird Joschi sie schon bringen.
Sie
sind allein in der riesigen Villa. Der Flieger der Alten wird morgen vormittag
landen. Joschis großer Bruder schläft im Wäldchen am Fluß. Und Suse verwüstet
das arme Kind bis zur Bewußtlosigkeit.
„Josef! Wir
sind wieder da!“ —
Hah!
Oh, Gott! Suse!
Suse
ist schon weg. Joschi hat geschlafen wie tot. Die Mama macht eloquent
Frühstück. Madrid und Barcelona rauschen auf ihn nieder samt überwältigender
Schönheit und aufregenden Pannen. Ein großes Frühstück soll es geben. Joschi
sitzt im Morgenrock in der Küche, ungewaschen, Haare wie ein Vogelnest. Papa
kommt herein: „Und du, Josef, ziehst dich jetzt ordentlich an, wir wollen ein
schönes Wiedersehensfrühstück mit dir feiern, und du wirst in einer halben
Stunde gepflegt aussehen, wie du das machst, ist mir egal.“
Na, gut. Das
Bad ist mein. Joschi schließt sich ein, bedauert ein wenig, Suses Geruch von
sich abzuwaschen, aber bei Gelegenheit wird man dieses Parfum wieder tragen. Er
duscht, er kämmt sich einen strammen Pferdeschwanz. Dann plündert er Mamas
Seite des Spiegelschranks. Ist das eine Vitaminbar oder eine Galerie Nagellack?
Candy Peach, Raspberry Frost, Burgundy Grape… Josef entscheidet sich für Deep
Cherry. Und Lavender Sun für die Augenlider. Wie macht sie das mit der Wimperntusche?
So wohl… Hm. Nicht schlecht.
Bißchen blaß noch, der junge Mann. Was für Obst
gibt es dagegen? Apricot Glow, sagen wir mal. Gepflegt genug, Vater?
Nun
noch Mamas Seidenkimono.
Papa
macht gerade den Champagner auf, als Joschi wieder runterkommt. Lachs und
feine Käse, Baguettes, Salat und Kaviar hat die Mama schon aufgetischt, gleich
kann’s losgehen.
Joschi
tritt in die Schiebetür.
„Mama,
Papa, ich muß euch was erzählen. Gestern, am Vorabend meines sechzehnten
Geburtstages, hat mich eine verschleierte Frau überfallen und vergewaltigt.
Ist das nicht wunder-wunderschön?“