Freitag, 23. Oktober 2020

Stilnesseln

 Wenn ich von Stilblüten anfange, die ich so lese... Eher Stilnesseln.

1. "Du bist einer der Autoren, der mir besonders gefällt." Nein!!! (Raserei-im-Zaum-halt) ..."DIE mir besonders gefallen! Der Relativsatz bezieht sich auf "die Autoren! Plural! Pluuuural!"
2. "Dresden 1945 sah aus wie ein Trümmerfeld" -- nein, es WAR ein verdammtes Trümmerfeld! Vorschlag: 90% der "wie" in Vergleichen durch "als" ersetzen. "Ich hüte diese Sammlung als meinen Schatz." Nicht "wie". Sage ich zu meiner Mutter: "Du liebst mich wie eine Mutter?" -- "na, was zum Teufel bin ich dann?"
3. Lohnenswert. Was heißt das? Es ist wert, dass es sich lohnt? Lohnend heißt das Wort.
4. Nichtsdestotrotz. Das war eine scherzhafte Vermischung von "nichtesdestoweniger" und trotzdem.
5. "Sie haben sich entblödet". Nein, sie haben sich nicht entblödet! Das Wort folgt der Verwendung von "entkleidet". Man entkleidet sich seiner Blödheit. Oder eben auch nicht.
6. Wörter zerhacken. "Davontragen" ist nicht "davon tragen". Man hört es auch an der Betonung. Noch. Aber das gerät in Vergessenheit.
Eine aufmerksame Beobachtung von Sprachentwicklung zeigt, dass Abkupfern den Sieg davonträgt gegenüber Nachdenken, was man da sagt.

Sonntag, 20. September 2020

Der graurote Zopf des Oleg Bojewity


Die Restauratorin löste das Blatt vorsichtig ab, entfaltete es und fand eine Notiz von 1661, die in ordentlicher Schrift berichtete, dies seien die Haare von Oleg Semjonowitsch Bojewity, des berühmten Kriegers, geboren 1220.

Alle erstarrten in Ehrfurcht. Dies war nun mit Abstand das älteste Haar, sofern der Zettel nicht log. Dieser Krieger nun habe auf der Seite Nowgorods sowohl gegen den Deutschen Ritterorden als auch gegen die Schweden Krieg geführt und auf dem Eis gekämpft, »bis dass die Träger des Schwarzen Kreuzes auf Weiß« — »der Deutsche Ritterorden«, warf Ludmilla ein — »für immer den Mut verloren, Rus an sich reißen zu können.« Und sie übersetzte einige Zeilen aus dem Text. 

»So schrecklich rannte er mit seinen Speer-Brüdern, hundert an der Zahl, hinein in die Reihen der gepanzerten Ritter, dass sie glaubten, der Leibhaftige gehe mit Schreien und gefletschten Zähnen auf sie los. So wurden sie zusammengedrängt, so brach das Eis und verschlang der kalte See die Kämpfer, die sich von den Schollen zu retten nicht vermochten.«
»Nun, das kann auch spätere Legendenbildung sein«, wandte Sergej skeptisch ein. »Es gibt diese Sage von dem Roten Oleg, der eine Elitetruppe anführte«, erwähnte Ludmilla.
»Nicht möglich!« schrie ich beim Blick auf das Papier, »gestorben 1282? Haben die sich vertan?«
»Dann war er kein Unsriger«, vermutete Saiko. »Doch, es gibt diese Sage, er sei einer der ‘erschröcklichen Rache-Engel’ gewesen, aber er habe durch den Sieg für das heilige Nowgoroder Reich einen göttlichen Segen erhalten, der ihn 62 Jahre leben ließ«, erinnerte sich Ludmilla an eine Chronik. 

Mich packte ein Schauer, der über mich lief, als läge ich auf einem Ameisenhaufen, mir blieb die Luft weg, und ich musste mich setzen. 

Dann war das plötzlich vorbei, und eine Freude überkam mich, für die ich keinen Grund wusste. Ist das keine Fälschung? Ist das wirklich keine Fälschung? 

Ich nahm den Zopf in meine Hand — nicht einmal einen Handschuh hatte ich an! Und ich schloss meine Augen. 

»Teufel! Lass sofort den Zopf los! Du kontaminierst doch die Informationen!« 

Ich legte ihn sogleich auf das Vlies, bat aber um ein Haar. Um ein Haar!
»Abgelehnt!« schrie Ludmilla.
Salix schob sie beiseite. »Das sind unsere Zöpfe!« murmelte sie fest, aber freundlich.
Sie zog ein Haar heraus, das teils grau, teils rot war, und legte es mir auf die Hand.
Ich sank auf einen Stuhl. Das Haar brannte auf meiner Handfläche. Ich sah einen aufmerksam blickenden, anziehenden und zugleich gefährlich wirkenden Mann. Er hatte flammend rote Haare. Er war einer von uns. Und er stand auf einer Eisfläche. Er trug nichts als ein Fell um die Mitte, festgebunden mit einer gestickten Borte. Er streckte seine Arme zu mir aus und lächelte mich an.
»Mein Freund!« sagte er, »du wirst ein guter Krieger sein. Du wirst den Ruhm der Nowgoroder mehren.«
»Hast du wirklich 62 Jahre gelebt, Oleg?« fragte ich ihn.
»Das habe ich, mein Freund.«
»Wie hast du das geschafft?« fragte ich ihn ein wenig unbeholfen.
»Du hast das Wissen gegessen, wirst es wieder tun, wirst es wissen, wenn die Zeit kommt.«
Er drehte sich um und ging fort.
Ich rief ihn in Gedanken, er drehte sich noch einmal um, lächelte mir zu, und das Bild verging. 

Ich öffnete meine Augen und hielt das Haar so fest, dass sich meine Fingernägel in die Handfläche gruben. Verstohlen wickelte ich es um zwei Finger — es ging siebenmal herum, musste also 80 cm lang sein — und schob es in ein Zellophan-Tütchen, das ich geschickt stahl und mit meinem Raub in die Hosentasche schob. 

Ludmilla hatte alles gesehen und lachte. »Ein umfassender Proteintest kostet 40 Dollar, hast du soviel Geld?«
»Ich schlafe drüber«, gab ich zurück.
Ja, ich lege es mir unters Kopfkissen und träume etwas darüber, da ist sicher noch mehr drin.

Freitag, 11. September 2020

Nächste Lesung bei den Literatunten am 26.9.2020

Die Facebook-Gruppe "Literatunten" hat mir freundlicherweise einen Platz für eine Lesung aus "Tiger jagen allein" zur Verfügung gestellt. Über Zoom wird die Lesung übertragen.
Die Lesung wird aufgezeichnet und ein paar Tage später auf YouTube hochgeladen und kann unter #nachgesehen auch später angeschaut werden.

Hier meine einleitenden Worte und die passend für die Leseprobe ausgesuchten Bilder! Ich poste der Bequemlichkeit  halber die Erklärungstexte noch einmal.

Tiger jagen allein


Band 4 der Reihe "Homsarecs!", Gay Urban Fantasy. Erschienen im Juli 2020. In der Druckausgabe 508 Seiten, Taschenbuch mit 9 farbigen Innen-Abbildungen, 14,90 €. Das e-Book gibt es für 4,99 €.

Vorwort

Meine Romanreihe handelt von der Spezies Homo Sapiens Erectus, kurz Homsarecs. Das sind Menschen, die sehr wehrhaft sind und die man nicht betäuben kann, die mit scharfen – nicht spitzen – Zähnen geboren werden und die eine Gesellschaft bilden, die verstreut über Europa und Asien in Wohngemeinschaften leben, sie sind im Schnitt 2-3 cm größer als Homo Sapiens, meist sehr schön – und sie sterben leider recht jung, die Männer so ab 42, die Frauen leben länger. Ihre Sexualmoral ist sehr liberal, was bedeutet, dass homosexuelle Erfahrungen für sie selbstverständlich sind. Sie können Nachkommen mit Homo Sapiens haben.
Ein paar Begriffe
  • Pais oder Kore entspricht unseren "Auszubildenden", wobei ein Liebesverhältnis mit dem Meister oder der Meisterin keineswegs ausgeschlossen ist.
  • Cro – von Cro-Magnon – ist ihre Bezeichnung für uns normale Menschen.
  • Papavers ist Opium, das sie häufig als Beruhigungsmittel konsumieren. Sie schlafen kaum und brauchen etwas, das sie halbwegs beruhigt.
  • Halluzinogene hingegen sind für Homsarecs sehr gefährlich, schon ein Joint kann sie für Wochen aus der Bahn werfen.
  • Ein Serf ist ein Diener.
  • Der Zar ist nur der Zar der Homsarecs des Ostens, also eher ein Clubpräsident.
  • Die Zeit der Handlung ist die jüngste Vergangenheit, so um 2011 herum. Die Homsarecs sind technisch etwas zurück, das ist ein freiwilliger Verzicht. Die Homsarecs schreiben eine eigene Zeitrechnung seit 1825.
  • Ort der Handlung: Zunächst Venedig, das sie Sukent nennen, dann Weliki Nowgorod in Nordrussland.
Amba von den Tigern ist ein junger Homsarec, der mit 16 Jahren in die Militärakademie in der Hauptstadt Sukent eingetreten ist. Er nennt sich Dox, was eigentlich ein Name für Amazonen ist, weil er lieber in die diszipliniertere Mädchenklasse gehen will. Die Transsexuelle Purix macht es ebenso. Während sie eine Beziehung aufbauen, erfährt Amba von einer verbotenen Party, auf der gefährliche halluzinogene Drogen konsumiert werden. Er schleift Purix mit dorthin, teilt den Becher im Ritual  und hat noch Wochen danach Bewusstseinsstörungen.

Amba von den Tigern/Dox

Purix, eine transsexuelle Amazone

Woron, der Außensenator des Reiches Nowgorod

Sarx (Jugendbild), Amazone im Ruhestand,
Mutter von Amba

Einige Jahre später...

Dox/Amba ist fertig mit seiner Ausbildung und ist ein stolzer und starker Gardeoffizier geworden.
Er wird mal im Dienst des Zaren eingesetzt, mal als Personenschützer, mal als Palastwache des Dogen und seiner internationalen Besucher.
Als sich eine Delegation aus dem kaukasischen Sultanat Chirkistan in Sukent aufhält, begegnet er dem Kronprinzen Temiz II, ebenfalls Homsarec und damit allein in der adeligen Familie.

Dienstag, 11. August 2020

Lesung am 14.8.2020

Die Facebook-Gruppe "Literatunten" hat mir freundlicherweise einen Platz für eine Lesung aus "Tiger jagen allein" zur Verfügung gestellt. Über Zoom wird die Lesung übertragen.
Die Lesung wird aufgezeichnet und ein paar Tage später auf YouTube hochgeladen und kann unter #nachgesehen auch später angeschaut werden.

Hier meine einleitenden Worte und die passend für die Leseprobe ausgesuchten Bilder!

Tiger jagen allein


Band 4 der Reihe "Homsarecs!", Gay Urban Fantasy. Erschienen im Juli 2020. In der Druckausgabe 508 Seiten, Taschenbuch mit 9 farbigen Innen-Abbildungen, 14,90 €. Das e-Book ist in Vorbereitung und wird 4,99 € kosten, vorweg für 4 Wochen zum reduzierten Preis 3,90 € oder so.

Vorwort

Meine Romanreihe handelt von der Spezies Homo Sapiens Erectus, kurz Homsarecs. Das sind Menschen, die sehr wehrhaft sind und die man nicht betäuben kann, die mit scharfen – nicht spitzen – Zähnen geboren werden und die eine Gesellschaft bilden, die verstreut über Europa und Asien in Wohngemeinschaften leben, sie sind im Schnitt 2-3 cm größer als Homo Sapiens, meist sehr schön – und sie sterben leider recht jung, die Männer so ab 42, die Frauen leben länger. Ihre Sexualmoral ist sehr liberal, was bedeutet, dass homosexuelle Erfahrungen für sie selbstverständlich sind. Sie können Nachkommen mit Homo Sapiens haben.
Ein paar Begriffe
Pais oder Kore entspricht unseren "Auszubildenden", wobei ein Liebesverhältnis mit dem Meister oder der Meisterin keineswegs ausgeschlossen ist.
Cro – von Cro-Magnon – ist ihre Bezeichnung für uns normale Menschen.
Papavers ist Opium, das sie häufig als Beruhigungsmittel konsumieren. Sie schlafen kaum und brauchen etwas, das sie halbwegs beruhigt.
Halluzinogene hingegen sind für Homsarecs sehr gefährlich, schon ein Joint kann sie für Wochen aus der Bahn werfen.
Ein Serf ist ein Diener.
Der Zar ist nur der Zar der Homsarecs des Ostens, also eher ein Clubpräsident.
Die Zeit der Handlung ist die jüngste Vergangenheit, so um 2011 herum. Die Homsarecs sind technisch etwas zurück, das ist ein freiwilliger Verzicht. Die Homsarecs schreiben eine eigene Zeitrechnung seit 1825.
Ort der Handlung: Zunächst Venedig, das sie Sukent nennen, dann Weliki Nowgorod in Nordrussland.

Amba von den Tigern ist ein junger Homsarec, der mit 16 Jahren in die Militärakademie in der Hauptstadt Sukent eingetreten ist. Er nennt sich Dox, was eigentlich ein Name für Amazonen ist, weil er lieber in die diszipliniertere Mädchenklasse gehen will. Die Transsexuelle Purix macht es ebenso. Während sie eine Beziehung aufbauen, erfährt Amba von einer verbotenen Party, auf der gefährliche halluzinogene Drogen konsumiert werden. Er schleift Purix mit dorthin, teilt den Becher im Ritual  und hat noch Wochen danach Bewusstseinsstörungen.

Amba von den Tigern/Dox

Purix, eine transsexuelle Amazone

Woron, der Außensenator des Reiches Nowgorod

Sarx (Jugendbild), Amazone im Ruhestand,
Mutter von Amba

Einige Jahre später...

Dox/Amba ist fertig mit seiner Ausbildung und ist ein stolzer und starker Gardeoffizier geworden.
Er wird mal im Dienst des Zaren eingesetzt, mal als Personenschützer, mal als Palastwache des Dogen und seiner internationalen Besucher.
Als sich eine Delegation aus dem kaukasischen Sultanat Chirkistan in Sukent aufhält, begegnet er dem Kronprinzen Temiz II, ebenfalls Homsarec und damit allein in der adeligen Familie.
Einige Zeit danach bekommt Dox eine Nachricht. Der Prinz fleht um seine Hilfe, er sei in Lebensgefahr. Dox eilt im Auftrag des Dogen und des Zaren nach St. Petersburg.





Montag, 6. Juli 2020

FAX MIT FOLGEN




Sukent, Juli 191
Der Doge saß in seinem kleinen Privatbüro im Dogenpalast und zog eine goldgeprägte Ledermappe mit der Aufschrift ‘Respondenda’ zu sich. Er schlug sie auf. Er nahm einen auf kostbarem Maulbeerpapier geradezu kalligraphisch geschriebenen Brief in die Hand, kohlschwarze Tinte und Initialen mit einer Tinte in Aubergine und Goldstaub.

‘Hochverehrte Exzellenz, Doge von Sukent,
Wir danken Ihnen für das großzügige Angebot von Wachen für einen begrenzten Zeitraum. Das bedauerliche Hinscheiden einiger unserer Wachen, das nicht einmal die aufopfernden Bemühungen unserer persischen und usbekischen Ärzte verhindern konnten, macht es uns schwer, diese Bitte an Sie heranzutragen. Dennoch sind solche Kräfte der Ihrigen unersetzlich. Wir sind sehr erfreut über Ihren Vorschlag und entsenden in größter Dankbarkeit meinen Cousin, Sultangibi von Sicak-Su (meinen Innenminister), den Emir von Kalbim (meinen Verteidigungsminister), sowie meinen älteren Sohn Temiz II, der gehalten ist, die Gepflogenheiten der Diplomatie zu erlernen. Besondere Gnade Ihrerseits wäre, wenn der junge Mann einen Blick in den Lehrbetrieb Ihrer Militärakademie werfen dürfte.
Mit vorzüglicher Hochachtung,
Temiz Altindogan, Sultan von Chirkistan.

Der Doge stempelte den Brief als ‘gelesen’ und nahm sich einen Notizblock.

Hochverehrter Sultan,
auf den Besuch Ihrer Minister und Ihres geschätzten Sohnes freue ich mich außerordentlich. Ihren zuvor vermittelten Wunsch, die Wachen sollten verheiratet oder mindestens verlobt sein, werden wir bei allen vorgeschlagenen Kandidaten berücksichtigen und Ihren Abgesandten bei dieser Gelegenheit auch die Partnerinnen vorstellen. Ihre sehr geschätzte Familie wird auf Schritt und Tritt von hochqualifizierten Wachen begleitet werden. Unsere ebenfalls exzellent ausgebildeten Amazonen werden sich dem Wohl Ihres Sohnes widmen, ihm jeden Wunsch erfüllen und ihn schützen wie das eigene Leben.
Wir freuen uns außerordentlich auf Ihren Besuch,
Tanguta Gustave McIntyre, Doge von Sukent.

Er legte den Brief auf die Glasplatte seines Fax und ließ ihn durchlaufen.
Der Doge entfaltete die Zeitung des Tages mit einem Artikel über den Nationalfeiertag in Chirkistan. Und hier war auch die Familie des Sultans mit seiner Frau, den Teenager-Söhnen und kleinen Schwestern abgebildet. Der jüngere Sohn: Glattgekämmt und angepasst. Der Doge betrachtete den älteren Sohn aufmerksam. Ein Lockenkopf mit mürrischer Miene und einem kleinen Bart stand ein wenig abgerückt. Seine Körpersprache und Mimik wirkten distanziert. Als wolle er nicht zu dieser Familie gehören.
»Das ist einer von uns«, war Tangutas erster Gedanke.

NÄCHTLICHER OBSTSALAT


Wenige Tage später hielt eine Delegation aus Chirkistan Einzug in die Gäste-Apartements zu San Francesco im Stadtteil nah dem großen Hospital ‘Johannes und Paul’. In diesem ehemaligen Kloster mit romantischem Kreuzgang waren jetzt komfortable Logis eingerichtet, um die sich ein Team von Wirtschafterinnen, Dienern und Amazonen kümmerte. Die Gäste aus dem Orient wurden am Anleger empfangen und durch den ehemaligen Klostergarten, jetzt einen kleinen Park, zu den Apartements geleitet.
Eine Stunde später gab der Doge ein Essen für seine Gäste in einem Saal des Dogenpalastes. Der junge Mann war schweigsam, beobachtete aber umso aufmerksamer jede Geste und wandte sich — anders als die beiden Minister — den Dienern mit einem Lächeln zu, wenn sie ihm servierten.
Sehr viel später saß der Doge wieder über seinen Briefen. Es schlug elf, als es klopfte. Er antwortete, und die Amazone Phlox schaute herein. »Wären Sie bereit, Prinz Temiz II von Chirkistan zu empfangen?«
»Ja, gern.« Der Doge erhob sich und ging dem Prinzen entgegen. Er reichte ihm die Hand und hieß ihn willkommen. Die Hand des Jungen war weich, sehr warm und trocken. Die Zweifel schwanden.
»Phlox, bitte lassen Sie Obst und Limonade bringen«, beauftragte er die Amazone, und wenig später trat Khorasan ein und stellte das Gewünschte auf. »Oder vielleicht einen Gewürztee? Er ist noch heiß.«
Ja, der Prinz setzte sich und nickte. Tanguta goss Tee in zwei silberne Becher und reichte einen dem Besucher.
»Ist es in Ordnung, dass ich noch zu so später Stunde...« begann der Junge.
»Oh, das ist bei uns ganz normal. Wir schlafen wenig.«
»Ich auch. Vier Stunden vielleicht.«
»Gefällt es Ihnen in Sukent?«
»Hm. Aufregend. Völlig ungewohnt. Ja, es ist toll.«
»Das freut mich. Was kann ich noch für Sie tun, Prinz?«
Der Prinz wurde rot und stockte ein wenig, sagte dann aber klar und ohne Zögern: »Tanguta, küss mich!«

Samstag, 4. Juli 2020

Mama holt uns von der Party ab


Purix

Aber nun wurde es nötig, dass ich mich ein wenig um Purix küm­merte, denn ihm war schwindelig und übel. Und auch mein Körper verarbeitete die Droge nicht wie gewünscht. Irgendwelche spannenden bunten Bilder wollten nicht so recht kommen. Also führte ich Purix hinaus in die frische Luft, winkte den Tischgenossen zu; jemand sagte: »Ihr kommt aber nachher wieder herein, es ist wichtig, dass wir jetzt zusammenbleiben, wenigstens diese Nacht...«
Wir beide verspürten jedoch den Wunsch, nach Hause zu fahren. Nur: wie? Niemand schien aufbrechen zu wollen, und eine öffentliche Barke war nicht Sicht.
Oder doch? Dort, im Schatten der Sträucher, dümpelte ein Boot. Und eben, als wir auf den Steg traten, den ein Windlicht schwach erhellte, stand jemand auf und bewegte das Ruder, und ich erkannte meine Mama. »Hab ich euch, ihr Lümmel! Los, rein ins Boot!«

Der Katzenjammer

Nichts, was ich lieber tun wollte. Sie kam längsseits. Ich half Purix hinein, der auf das Kissen plumpste; dann stieg ich hinterher. Das Schwanken fing ich ab, indem ich noch am Pfosten festhielt, dann setzte ich mich neben ihn.
Ein paar Ruderschläge weit hielt er seine Übelkeit noch unter Kontrolle, dann aber lehnte er sich mit der gebotenen Vorsicht über die Reling und beschenkte die Lagune.
Von diesem Anblick kam es auch mir hoch, und ich tat es ihm auf der anderen Seite nach. Was meine Mutter zu einer Spottrede veranlasste: »Die Prachtgondel wird von zwei anmutigen gotischen Wasser­speiern in exakt spiegelgleicher Haltung flankiert...«
»Och, Mama!« brach es aus mir hervor, »uns geht es echt nicht gut, und jetzt machst du dich noch lustig...«
»Gut, dass du es erwähnst«, stieg sie drauf ein, als hätte sie es erwartet, »Purix, möchtest du heute Nacht bei uns schlafen? Ich habe mit deinem Papa telefoniert, der Weg zu euch hinaus wäre zu weit.«
Sie schwieg eine Weile und ließ ihre Worte wirken. Wir antworteten nicht, teils aus Verlegenheit, aber auch aus Elend. Also fügte sie hinzu: »Morgen steht ein Besuch beim Doktor auf dem Plan, das ist mit ihm schon abgemacht, und die Schule gibt euch frei.«
Boah! Mama!
Sie hat wieder alles im Griff, sogar meinen Freund, und den habe ich ihr noch nicht mal vorgestellt.

Sonntag, 28. Juni 2020

Tunten klatschen


Ich durfte nicht mehr allein durch die Stadt laufen, wenn erkennbar war, dass ich ein Homsarec bin, und schon gar nicht, wenn ich aufgebrezelt war. Das erfuhr ich an einem schon etwas milderen Frühlingsabend, als ich nach einem Essen mit den Ministern in Seiden­turban und Lendentuch über die Flussbrücke gelaufen war, um einen Botengang für einen Gast des Zaren zu tun. Und als ich auf dem Rückweg ins Wasser hinabsah, um den Eisgang zu beobachten, wurde ich von mehreren betrunkenen Cros angegriffen, die mich mit den gröbsten Beleidigungen herausforderten. Sie stupsten mich an, belegten mich mit Schimpfwörtern, die ich nur zum kleinen Teil kannte, die aber deutlich machten, dass sie mich zusammenzuschlagen wünschten. Einer riss mir den Turban runter, schleuderte ihn in den Fluss und schrie was von ‘Tuntentracht’.
Ich steckte zum Warmwerden ein paar Schläge ein, was mich sehr schnell in den gewünschten Rausch­zustand versetzte, schlug blitzschnell zurück, biss in einen Arm, der mich packte, so dass das Blut nur so hervorschoss. Ich leckte es von seinem Arm ab, er erstarrte vor Schreck. Ich spuckte es aus und rief: »Du schmeckst aber scheiße!« Die Portion traf ins Gesicht des nächsten Angreifers. Ich nahm ihn in einen engen Klammergriff und blies ihm solange in die Nüstern, bis er erschlaffte und niedersank. Die verbliebenen Zwei, den Gebissenen und den Dritten, der sich bislang zurückgehalten hatte, sah ich mit grimmigem Knurren und Zähnefletschen an: »Der Nächste, bitte!«
Das war ein Fehler, denn nun näherten sich noch weitere Kameraden dieses Trupps, und die waren frisch. Ein Mann im mittleren Alter führte sie an, er mochte um  37 Jahre alt sein, sah aus wie eine verjüngte Ausgabe von Josef Stalin. Nun nahmen sie alle Kräfte zusammen, packten mich bei Armen und Beinen, passten nun auf, dass ich sie nicht beißen konnte, wie sehr ich es auch versuchte, aber ich hatte keine Chance, es ging zu schnell. Sie waren immer noch stark genug. »So macht man das mit den Schwuchteln!« rief er mir nach, als ich fiel.
Wenigstens warfen sie mich an einer nicht so hohen Stelle von der Brücke. Und noch ein Glück war, dass die Eisdecke offen war, so dass ich ins Wasser fiel, mitten zwischen die Eisschollen. Oh, diese eisige Kälte! Mein Kreislauf spielte sofort verrückt, und jeder Cro wäre auf der Stelle ohnmächtig geworden, aber wir ja nicht. Dann schob sich eine Scholle über mich.

Tag 31: Was sind deine nächsten Ziele, und welche Schritte stehen dir als Nächstes bevor?

  #charactersofoctober #desschreiberswildeträume Fido: Mein Ziel ist es, den Kurs der Annäherung von Menschen und Thieren weiter zu verfo...