Freitag, 26. Oktober 2018

Ein Blick durch die rosarote Brille


Perkele hat die Affäre mit Lelo beendet und ihm eine Freundschaft angeboten.
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Nein! Ich versteh dich nicht! Verdammt!
Wir haben eine Liebsaffäre, wir hatten tollen Sex, warum nicht mehr? Warum verweigerst du dich mir, du bist doch kein Mönch geworden, du fickst mit deiner Frau!
Ja, ich liebe meinen Herrn, den Dogen und seine Frau.
Sowas kann auch Gewohnheit werden.
Aber du, mein Perkele, von Wärme Durchglühter, du hast mich geweckt, als ich fast noch ein Kind war. Du warst es, den das Gänseküken als erstes gesehen hat, als es aus dem Ei kam. Ich habe an deiner Brust geweint, als du mich genommen hast, das war mein erster richtiger Sex, kein kindliches Spiel, du mein erster Meister, du hast mir Ohrringe geschenkt, auch wenn du mich nicht offiziell zum Pais genommen hast — ach, hättest du doch! Ich liebte dich und fand dich nicht, ich wollte zu dir, ohne es zu wissen. Jede Berührung von dir hat mich erschüttert, du hast mich damit auf dich geprägt und mich durchdrungen, bevor du von neuem in mich einge­drungen bist. Du hast mich zu dem wilden Wilden befreit, der ich wurde. Du hast um mich gekämpft — gegen einen so mächtigen und berühmten Krieger, den Dogen. Du hast mich wieder lebendig gemacht, als ich dabei war, langsam zu sterben.
Wie kannst du mich jetzt im Stich lassen?
21. AUGUST
Ich habe ihn diese Eintragung lesen lassen. Denn ich glaube, ich habe das toll geschrieben, in einem eleganten Lingo Real, ich könnte das wohl kaum so sagen, wenn ich es mündlich versuchen würde.
Er hat es zweimal gelesen und dann mit schönen, achtsamen Bewegungen wieder auf den Tisch gelegt. Und die haben mir gesagt, was ich wissen muss und nicht wissen will.
„Lieber Junge“ — was kann so anfangen, wenn nicht eine Absage?

Montag, 15. Oktober 2018

Petjas Geschenk

Am Nachmittag ist Petja gekommen. Er hat ein Geschenk für mich.
Er sucht sichtlich nach Worten und streichelt meinen geschorenen Kopf.
„Lelo“, sagt er, „ich habe da etwas für dich von unserem Vater. Das Andenken nach unserer Art. Aber ich kann es dir nur geben, wenn du denkst, du bist stark genug. Wie geht es dir? Hast du dich gefangen?“
Ich nicke. Und ich brenne darauf, dass er es mir gibt. Ich weiß, was es ist.
Er zieht ein in Seidenpapier gewickeltes Päckchen aus dem Schultersack und legt es vor mich hin. Das Papier ist rosa. Ich schlage es auf.
Es ist ein Teil von Perkeles Haar. Schwarzbraun und sehr lang ist es, mit wenigen grauen Fäden darin. Er ist mit einem orangefarbenen Band fest zusammengebunden, und daran befestigt ist eine lange Fasanenfeder, eine, die er sicher getragen hat. Und auf den einen dünnen Zopf, wie sie Mavini zu flechten versteht, ist eine bohnengroße Knochenperle gezogen, die die Form eines menschlichen Schädels hat.
Es ist sein Haar. Ich fühle ihn, als ich es berühre. Und mir stürzen Tränen aus den Augen. Aber es sind dankbare, heilende Tränen. Dies ist mein Schatz. Dies ist sein Vermächtnis. Meine Liebe für ihn wird ewig sein.

(Lelo sucht seine Großmutter auf)
Während ich sprach, wusch sie das Geschirr ab. Und ich erzählte, so gut ich konnte, wie ich sein Ende erlebt hatte.
Oma setzte sich hin. Sie schaut mich so voller Liebe an. Das hatte ich schon vergessen. Hatte sie eher kritisch und ablehnend in Erinnerung.
„Ich will dir was zeigen“, sagte ich und holte meinen kostbarsten Besitz heraus.
Sie strich mit einem Finger über das Haar, liebkoste den dünnen Zopf, der mitten in der dicken Strähne hing.
„Das sind nicht die Haare eines Toten“, sagte sie.
Ich schrie auf und verschluckte mich.
„Wölfchen“, sagte sie, „du musst dorthin, er braucht dich.“

#homsarecs #gayfantasy

Sonntag, 14. Oktober 2018

Akira Arenth, Satisfy a Satyr

https://www.amazon.de/Satisf.../dp/1980303142/ref=sr_1_10... Arenth
Würde man bei Ansicht des Covers annehmen, dass es ein liebevolles, sehr ethisches und zum Nachdenken anregendes Buch ist? Eher nicht, und dennoch ist es kein Etikettenschwindel. Denn, wie er selber sagt: Der Stoff, über den man bei Hypersexualität nachdenkt, ist nun mal Sex. Ich füge hinzu: Ebenso sehr, wie man bei einem Buch über Magersucht vom Essen reden muss. Oder von der Waage. Geile Stellen hat es schon, aber ebenso sind manche der Situationen, in denen der Erzähler sich wiederfindet, totale Abtörner. Und genau darum ist es ein wichtiges Buch.

Dienstag, 9. Oktober 2018

Autoren, die anecken

Im Internet wird dein Herz vielleicht in
den Dreck getreten
Müssen Autoren stromlinienförmig sein? In der Zeit des Internet sind die Autoren sehr auf den Präsentierteller gestellt, ganz anders als zu den Zeiten, als sich fast die gesamte Literatur in den Händen der Verleger befand. Die boten allenfalls eine Kurzbiografie und ein Porträtfoto des Autors an. Details aus dem Privatleben wurden kaum bekannt.
Dass eine solche Datendiät heute nicht mehr möglich ist, liegt nicht zuletzt an der Selbstvermarktung. Autorinnen, vor allem die, haben entdeckt, dass sie ihr Publikum anzuckern können, indem sie sehr menschlich rüberkommen. Somit ist die persönliche Sympathie zu einem wesentlichen Kaufanreiz geworden. Das wäre in früheren Jahrzehnten undenkbar gewesen.
Über Hermann Hesse schrieb seine eigene Mutter: "ich schaudere bei dem Gedanken, was bei falscher oder schwacher Erziehung aus diesem jungen passionierten Menschen werden könnte."
Der kritische Günter Grass musste trotz seiner im Werk so unverkennbaren Abrechung mit der Vergangenheit -- oder gerade darum? -- mit einem Vorwurf zu Fall gebracht werden, der in keinem Verhältnis zu seinem aufklärerischen Verdienst steht.
Thomas Bernhard empfand öffentliche Ehrenfeiern "abstoßend und ekelerregend". Preisgelder waren ihm selber aber hochwillkommen.

Das Phänomen des Störenfrieds verdankt seinen Erfolg möglicherweise just aus dieser Anstößigkeit.
Die Wiener Zeitung widmet dem Störenfried einen Artikel.


Wer aus Sympathie Bücher kauft, sollte genau hinschauen. Literarische Qualität findet man nicht immer nur bei den "ganz braven". Harmoniesucht entwickelt keine tragischen Konflikte -- in der Regel. Grantigkeit ist bisweilen langer Frustration oder Verbitterung durch Schicksalsschläge und Enttäuschungen geschuldet, oft auch aus Qualen des Körpers, der einem das Wohlbefinden versagt.
Die Kunstgeschichte ist übervoll von großen Leistungen unglücklicher, unbeliebter und an allen möglichen Gebrechen und seelischen Wunden leidenden Menschen. Und sie waren mit Sicherheit nicht alle und nicht immer pflegeleicht. Das macht in der bildenden Kunst normalerweise keinen Makel aus, denn wir sehen das Bild, weniger den Menschen. Warum also sollte es in der Literatur anders sein?

Unerhört

Dieses Wort brandmarkt einen Verstoß gegen die Etikette, einen frechen Übergriff. Was ist die wörtliche Bedeutung? Erhören ist das Annehmen und positive Beantworten einer Bitte oder Anrede. Es hat einen starken religiösen Anklang, doch auch weltliche Autoritäten können 'erhören'.
Ist vielleicht auch etwas unerhört, was bislang noch niemand gehört hat? Ja, denn neue Gedanken sind offensiv, ohne es sein zu wollen. Nur vertraute Gedanken verunsichern nicht. Doch müssen neue Gedanken her, wenn sich Kultur entwickeln soll. Nicht Widerkäuen, sondern Innovation ist Kennzeichen einer Kunst, die diesen Namen verdient. Sie ist unerhört, stört, verstört, rebelliert, und das sogar ohne Absicht, in irgend eine Richtung zu wirken. Wann immer etwas geschaffen wird, ohne dass der Künstler seinem Publikum hinterherläuft, passiert eben das.
Stellen wir uns einmal vor, die Sterne in den Rezensionen würden reine Benimm-Noten.
Wie stünde es da um die Kunst?



Montag, 8. Oktober 2018

Isegrims erste Grippe

Homsarecs waren bislang immun gegen menschliche Erreger, aber da sie langsam abkühlen auf 38,5°, werden sie mit neuen Krankheiten konfrontiert. 
Serf ist ein Sklave aus freien Stücken, meist Hausdiener.
Cro ist die Bezeichnung der Homsarecs für die anderen Menschen.
#homsarecs #gayfantasy
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Khorasan kam nachsehen, wo ich für die Vorbereitung des Nachmittagstees blieb, fand mich im Bett, ich hatte all meinen Schmuck angelegt, wie wir es zum Sterben tun, er befragte mich kurz, ich teilte ihm mit, ich sei jetzt im ‘Zustand’ und rechne stündlich mit meinem Tod. Er lachte nicht — sollte er ein bisschen gegrinst haben, habe ich das nicht gemerkt. Es war das erste Mal, dass ich eine Erkältung hatte, er meinte, ich hätte mir wohl auch irgendwo das Virus eingefangen. Er besorgte ein Thermometer und stellte ein gutes Grad über normal fest.

Cro-Grippe haben wir bisher ja nie bekommen. Woher ich sie vielleicht hätte? Von Pratizaye? Nicht so wahrscheinlich. „Xanti“, murmele ich, „aber warum willst du das wissen?“

„Damit er richtig versorgt wird“, antwortet Khorasan, „ihn muss ein Cro pflegen, die kommen damit besser zurecht, wenn sie es schon kriegen.“

„Er hat ein Cro-Serf“, erinnere ich mich.

Dann weiß ich wieder nichts mehr. Kurz darauf steht ein bärenhaft gebauter Cro in weißem Kittel im Schlafzimmer der Serfs und fragt mich, ob ich aufstehen und gehen kann. „Nein“, sag ich, „das möchte ich nicht probieren, ich frier’ so.“

Er hilft mir auf, vielmehr, zwingt mich aufzustehen und wickelt mich in ein zweites Schlaftuch. Ich schlottere. Und ein unerträgliches Gefühl steigt in meinem Rachenraum auf und löst sich in einer krachenden Explosion. Was ist das?? Ich glaube, ich sterbe, nichts ist mehr normal, meine Ejakulation geht durch die Nase.

Khorasan gibt mir ein großes weißes Tuch. Ich sehe ihn fragend an, vor meinen Augen schwimmt alles, „wofür...“

„Schneuz dich damit.“

„Wie...“
Er bringt mir bei, die Nase von dem Zeug zu befreien. In wenigen Stunden werde ich tot sein, keine Chance, dass der Körper das länger mitmacht.
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Homsarecs! Band 3: Der Menschenfresser Besserung -- Isegrims Tagebücher
Neue Ausgabe ist in Arbeit.
Illustrierte Druckausgabe: Im Shop der SCHLAGZEILEN

Sonntag, 23. September 2018

Leseprobe: Der Doge und sein Tunichtgut, "Homsarecs!" Band 2

GUTE ERYNNIE, BÖSER COP


#homsarecs #gayfantasy

Wenigstens durfte Salix das Verhör beaufsichtigen, Weisung des Dogen. Auch wurde es auf Video aufgenommen, ich sah es später.
Dem Großkommissar Tarfur, einem Cro von bulldoggenhafter Statur, schien das nicht in den Kram zu passen, aber einer Weisung Seiner Exzellenz gab es nichts entgegenzusetzen.
Nun ging also die Befragung los, und es schien alles zusammenzupassen: Stalking, Geiselnahme — noch dazu im Dogenpalast —, Erpressung, Fluchtversuch. Jetzt wurde klar, dass sie Lelo der Planung eines Attentats verdächtigten. Mehrere Stunden am Stück zwiebelten sie ihn. Zugleich wurden andere Wohnungen durchsucht, in denen er sich aufgehalten hatte. In einem Zimmer wurden in Kartons verpackte Dinge aus seinem Besitz gefunden, unter anderem ein japanisches Kurzschwert, an dem sich alte Spuren von Homsarec-Blut fanden. Fatalerweise entstammten sie aber einem lebenden Körper! Wiederum passten sie nicht zu dem Opfer des Banketts. Keine Frage, das hatte schon einmal einem Angriff gedient, aber wenn er es noch hatte — sollte dieses für einen Anschlag auf den Dogen benutzt werden? Vieles wies auf aggressive Absichten — oder konnte so zusammengereimt werden. Auch Lelo hatte keine Erklärung für dieses Stück, es sei ihm untergeschoben worden, wiederholte er verzweifelt. In einer Wohngemeinschaft ist doch alles allen zugänglich!
Tarfur, Großkommisar der Kriminalpolizei, wohl der schärfste Hund der Sukenter Wachorgane, kochte ihn weich.
Lelo stritt ab, versuchte, die Beschuldigung zu widerlegen, er hätte einfach nur unüberlegt gehandelt, er hätte nur weg wollen, die Isolation auf Torquato, die arroganten Mädchen, denen er die Wäsche waschen und deren Kritik an seiner Kochkunst er sich jeden Tag anhören musste…
Satz um Satz schlug ihm Tarfur um die Ohren. Lächerliches Gewäsch, erstunken und erlogen, dieses harmlose Getue, dabei sei er ein ganz ausgekochter und kaltblütiger Verbrecher mit klar bewusster krimineller Obsession. Von wegen verrückt, Kunkamanito soll das schnell vergessen. Da ist nichts, was seine Schuldfähigkeit mindert.
Salix versuchte, ihn zu bremsen. „Sie unterstellen ihm, er hätte den Dogen umbringen wollen? Haben Sie je erlebt, dass ein Homsarec einen anderen getötet hat?“ fauchte sie.
Tarfur schien es zu hassen, wenn ihm eine Frau in die Parade fuhr. „Weiß man’s?“ gab er zurück, „es gibt für alles ein erstes Mal. Und jetzt halt dich raus, Weib. Siehst du nicht, dass wir ihn fast soweit haben?“ Salix zog sich mit einem halblaut gemurmelten „blöder Macho!“ zurück auf den Stuhl in der Ecke des Raumes und beobachtete weiter.
Tarfur beugte sich über Lelo, der schon aschfahl und verkrampft dasaß und sich kaum aufrecht hielt, und schrie ihn an: „Dich krieg ich klein! Und wenn wir weitermachen, bis du tot umkippst. Das würde ich billigend in Kauf nehmen. Noch mal und so oft du willst: Was wolltest du von dem Dogen? Willst du uns erzählen, du bist in ihn verknallt wie ein Teenie in einen Rockstar?“
Da brach Lelo zusammen, käsig blass, die Tränen liefen über sein Gesicht, und er atmete so lange nicht, dass Salix schon anfing, Befürchtungen zu hegen, dann aber sog er laut und mit den Zähnen klappernd die Luft ein. Ein Cro wäre schon bewusstlos gewesen.
Nun hatte Salix genug. „Schluss jetzt!“ rief sie und klingelte nach der Wache.

Freitag, 21. September 2018

Über Lelo


Sie tranken Tee im Salon seiner Wohnung im Palast.
Dar­jeeling.
„Und was ist mit Isegrim?“ fragte sie, „wie geht es ihm? Sie sehen ihn doch regel­mäßig, mein Doge?“
„Lelo. Mein Schmerz im Arsch.“
„Exzellenz!“
Er schlug mit der Faust auf das Polster des Sofas, auf dem er saß.
„Wie kann man so ein Idiot sein.“
„Er dachte, er hilft.“
„Er dachte gar nicht. Das ist das Schlimme bei diesem Menschen, er denkt nicht.“

#homsarecs #gayfantasy 

Freitag, 14. September 2018

Aus den Apokryphen


Kodutu der Schamane
Ein im e-Book nicht veröffentlichter Auszug aus Band 1 der Homsarecs!-Trilogie beschreibt, wie Isatais Frau Kirli zur Schamanin wird. Sie selber hat ihre Berufung erkannt; der Schamane Kodutu, der eigentlich einen Mann zu seinem Nachfolger machen wollte, ist davon nicht so begeistert.
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Inzwischen war die Landkommune eingetroffen. Ein Schaf hatten sie auch an Bord. »Ihr habt ein Schaf bestellt, richtig? Und wir haben davon so wenige«, klagte Kintyel, »Schweine hätten wir euch genug bringen können, keiner bestellt mehr was davon.« Die Schweine kriegten allmählich Gnadenkartoffeln, erzählte er, sie blieben relativ schlank und erreichten ein biblisches Alter, »wenn das so weitergeht. Anscheinend haben wir nur Vegetarier als Könige.« Es mußte ein Schaf sein, sagte Kodutu, eigentlich ein Rentier, aber das konnte an ja vergessen, hier eins aufzutreiben. Was habt ihr überhaupt? Am Nötigsten fehlt es.
»In ein paar Tagen mache ich weiter«, sagte Sinteska, »jetzt muß ich erst Kirli helfen, die Heilige Krankheit durchzumachen.«
»Und was heißt das?«
»Nun, sie wird ein paar Tage wie tot daliegen, dabei tritt Blut und Wasser aus der Haut, siehst du, das fängt schon an. Dann werden die Geister sie in Stücke schneiden. Sie opfert sich ihnen bewußt. Sie werden vielleicht ihr Fleisch kochen, vielleicht roh essen ... Wir werden es ja gewahr werden, das weiß man nie vorher. Jeder Schamane macht das durch.«
»Wozu mußten wir denn das Schaf mitbringen?«
Dieses wurde eben von der Ladefläche geführt.
»Es soll verhindern, daß die Geister jemanden im Hause zum Opfer nehmen. Es muß an der Außenwand des Zeltes angebunden werden. Niemand darf zwischen Kirli und dem Schaf durchgehen. Ein Kind, das noch virgo ist, soll ihr Trinkwasser reichen. Das ist alles.«
»Deshalb mußten wir Lakota mitbringen, nicht wahr?«
»Richtig.«
Die ‘Bauern’ hatten Heu mitgebracht. Hieraus und mit alten Decken wurde für Kirli ein Lager im Zelt bereitet. Sie legte sich nackt darauf und ließ sich mit Lumpen zudecken. Ihre Klause war das besagte Tipi aus hellem Segeltuch. Drinnen herrschte ein mildes Licht. Es war auch möglich, drinnen ein Feuer zu unterhalten. Das tat Sinteska, wenn er fand, daß es der werdenden Schamanin zu kalt wurde. Draußen war das Schaf angebunden. Es blökte nach seiner Herde. Mir kam es vor, als ahne es Gefahr.
Es war auch in Gefahr. Am nächsten Abend -- Kirli lag schon seit vierundzwanzig Stunden in diesem todähnlichen Schlaf -- sagte Kodutu, die Geister würden das Opfer wohl annehmen. Das Schaf stand da, ließ den Kopf hängen und fraß nicht.
Am Morgen schaute Isatai nach Josef.
Er war nicht in seinem Zimmer. Isatai rannte durch den ganzen Garten und fand ihn zwischen dem Tipi und dem Schaf, wo er seine Morgenmeditation durchführte. Er hatte einen Teppich auf den Boden gelegt, darauf ein Kissen, vor sich ein niedriges Tischchen mit dem Text, den er also seit aller Morgenfrühe da gelesen hatte. Das Schaf graste friedlich an etwas längerer Leine.
Offenbar waren Isatais Schritte gehört worden. Kodutu kam aus dem Tipi und sah Isatai, der auf die Szene wies. Kodutu schoß auf Josef los und schrie: »Wirst du gleich da weggehen, verrückter Pais! Der Platz ist gefährlich!«
Josef öffnete halb die Augen und sagte in Lingo Real: »Stör’ mich nicht.«
»Komm da weg«, bat nun auch Isatai, der den Gast nicht ärgern wollte und fürchtete, es sei wohl doch nicht ungefährlich, gerade dort zu sitzen.
Schließlich, als er selber befand, es sei Zeit, öffnete Josef die Augen ganz.
Völlig ungerührt von der Anwesenheit der beiden irritierten Männer griff er nach einem Knochenhorn, das er sich wer weiß wie beschafft haben mochte, und ließ einen hohlen, klagenden Ton erschallen, der selbst dem Schaf durch Mark und Bein zu gehen schien.
Dann ergriff er seine Trommel und seine Glocke und sang ein monotones Ritual. Schließlich rammte er einen Stock in die Erde, wo er gesessen hatte, und befestigte daran eine mit Gebeten bedruckte Fahne, die im kräftigen Wind gen Schaf flatterte. Das Schaf erholte sich. Josef ging es prima. Kodutu murmelte: »Er ist verrückt, er ruft die Geister!« Er verschwand hinter dem Rhododendron, versenkte sich in eine Trance und kam mit der Auskunft zurück, die Geister hätten ihr Opfer erhalten, es habe im Phantomkörper eines achtzehn Jahre alten, blonden Fürstenkindes bestanden und habe sehr gut geschmeckt. Nun war Kodutu voller Sorge, Josef könne davon krank werden, aber der lachte und sagte: »Was man verschenkt, das wird einem nicht mehr gestohlen.«
Kodutu schüttelte den Kopf und sagte irgendwas Skeptisches über seine Befähigung als Schamane, und er solle wohl in Rente gehen.
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https://www.schlagzeilen.com/de/shop/113/113-434/homsarecs.htmDie Fakten über Schamanen-Werdung sind der ethnografischen Fachliteratur entlehnt. Quellen: Findeisen, Bogoras, etc.
Die Rolle, die Josef einnimmt, fasst kurz den Unterschied zwischen dem Schamanismus und dem buddhistischen Chöd-Ritual zusammen, in dem an die Stelle des Tieropfers ein visualisiertes Selbstopfer tritt. Dieser Gedanke ist für die weitere Romanhandlung von entscheidender Wichtigkeit.

Tag 31: Was sind deine nächsten Ziele, und welche Schritte stehen dir als Nächstes bevor?

  #charactersofoctober #desschreiberswildeträume Fido: Mein Ziel ist es, den Kurs der Annäherung von Menschen und Thieren weiter zu verfo...