Kodutu der Schamane |
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Inzwischen war die Landkommune eingetroffen. Ein Schaf hatten sie auch an Bord. »Ihr habt ein Schaf bestellt, richtig? Und wir haben davon so wenige«, klagte Kintyel, »Schweine hätten wir euch genug bringen können, keiner bestellt mehr was davon.« Die Schweine kriegten allmählich Gnadenkartoffeln, erzählte er, sie blieben relativ schlank und erreichten ein biblisches Alter, »wenn das so weitergeht. Anscheinend haben wir nur Vegetarier als Könige.« Es mußte ein Schaf sein, sagte Kodutu, eigentlich ein Rentier, aber das konnte an ja vergessen, hier eins aufzutreiben. Was habt ihr überhaupt? Am Nötigsten fehlt es.
»In ein paar Tagen mache ich weiter«, sagte Sinteska, »jetzt muß ich erst Kirli helfen, die Heilige Krankheit durchzumachen.«
»Und was heißt das?«
»Nun, sie wird ein paar Tage wie tot daliegen, dabei tritt Blut und Wasser aus der Haut, siehst du, das fängt schon an. Dann werden die Geister sie in Stücke schneiden. Sie opfert sich ihnen bewußt. Sie werden vielleicht ihr Fleisch kochen, vielleicht roh essen ... Wir werden es ja gewahr werden, das weiß man nie vorher. Jeder Schamane macht das durch.«
»Wozu mußten wir denn das Schaf mitbringen?«
Dieses wurde eben von der Ladefläche geführt.
»Es soll verhindern, daß die Geister jemanden im Hause zum Opfer nehmen. Es muß an der Außenwand des Zeltes angebunden werden. Niemand darf zwischen Kirli und dem Schaf durchgehen. Ein Kind, das noch virgo ist, soll ihr Trinkwasser reichen. Das ist alles.«
»Deshalb mußten wir Lakota mitbringen, nicht wahr?«
»Richtig.«
Die ‘Bauern’ hatten Heu mitgebracht. Hieraus und mit alten Decken wurde für Kirli ein Lager im Zelt bereitet. Sie legte sich nackt darauf und ließ sich mit Lumpen zudecken. Ihre Klause war das besagte Tipi aus hellem Segeltuch. Drinnen herrschte ein mildes Licht. Es war auch möglich, drinnen ein Feuer zu unterhalten. Das tat Sinteska, wenn er fand, daß es der werdenden Schamanin zu kalt wurde. Draußen war das Schaf angebunden. Es blökte nach seiner Herde. Mir kam es vor, als ahne es Gefahr.
Es war auch in Gefahr. Am nächsten Abend -- Kirli lag schon seit vierundzwanzig Stunden in diesem todähnlichen Schlaf -- sagte Kodutu, die Geister würden das Opfer wohl annehmen. Das Schaf stand da, ließ den Kopf hängen und fraß nicht.
Am Morgen schaute Isatai nach Josef.
Er war nicht in seinem Zimmer. Isatai rannte durch den ganzen Garten und fand ihn zwischen dem Tipi und dem Schaf, wo er seine Morgenmeditation durchführte. Er hatte einen Teppich auf den Boden gelegt, darauf ein Kissen, vor sich ein niedriges Tischchen mit dem Text, den er also seit aller Morgenfrühe da gelesen hatte. Das Schaf graste friedlich an etwas längerer Leine.
Offenbar waren Isatais Schritte gehört worden. Kodutu kam aus dem Tipi und sah Isatai, der auf die Szene wies. Kodutu schoß auf Josef los und schrie: »Wirst du gleich da weggehen, verrückter Pais! Der Platz ist gefährlich!«
Josef öffnete halb die Augen und sagte in Lingo Real: »Stör’ mich nicht.«
»Komm da weg«, bat nun auch Isatai, der den Gast nicht ärgern wollte und fürchtete, es sei wohl doch nicht ungefährlich, gerade dort zu sitzen.
Schließlich, als er selber befand, es sei Zeit, öffnete Josef die Augen ganz.
Völlig ungerührt von der Anwesenheit der beiden irritierten Männer griff er nach einem Knochenhorn, das er sich wer weiß wie beschafft haben mochte, und ließ einen hohlen, klagenden Ton erschallen, der selbst dem Schaf durch Mark und Bein zu gehen schien.
Dann ergriff er seine Trommel und seine Glocke und sang ein monotones Ritual. Schließlich rammte er einen Stock in die Erde, wo er gesessen hatte, und befestigte daran eine mit Gebeten bedruckte Fahne, die im kräftigen Wind gen Schaf flatterte. Das Schaf erholte sich. Josef ging es prima. Kodutu murmelte: »Er ist verrückt, er ruft die Geister!« Er verschwand hinter dem Rhododendron, versenkte sich in eine Trance und kam mit der Auskunft zurück, die Geister hätten ihr Opfer erhalten, es habe im Phantomkörper eines achtzehn Jahre alten, blonden Fürstenkindes bestanden und habe sehr gut geschmeckt. Nun war Kodutu voller Sorge, Josef könne davon krank werden, aber der lachte und sagte: »Was man verschenkt, das wird einem nicht mehr gestohlen.«
Kodutu schüttelte den Kopf und sagte irgendwas Skeptisches über seine Befähigung als Schamane, und er solle wohl in Rente gehen.
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https://www.schlagzeilen.com/de/shop/113/113-434/homsarecs.htmDie Fakten über Schamanen-Werdung sind der ethnografischen Fachliteratur entlehnt. Quellen: Findeisen, Bogoras, etc.
Die Rolle, die Josef einnimmt, fasst kurz den Unterschied zwischen dem Schamanismus und dem buddhistischen Chöd-Ritual zusammen, in dem an die Stelle des Tieropfers ein visualisiertes Selbstopfer tritt. Dieser Gedanke ist für die weitere Romanhandlung von entscheidender Wichtigkeit.