Im Internet wird dein Herz vielleicht in den Dreck getreten |
Dass eine solche Datendiät heute nicht mehr möglich ist, liegt nicht zuletzt an der Selbstvermarktung. Autorinnen, vor allem die, haben entdeckt, dass sie ihr Publikum anzuckern können, indem sie sehr menschlich rüberkommen. Somit ist die persönliche Sympathie zu einem wesentlichen Kaufanreiz geworden. Das wäre in früheren Jahrzehnten undenkbar gewesen.
Über Hermann Hesse schrieb seine eigene Mutter: "ich schaudere bei dem Gedanken, was bei falscher oder schwacher Erziehung aus diesem jungen passionierten Menschen werden könnte."
Der kritische Günter Grass musste trotz seiner im Werk so unverkennbaren Abrechung mit der Vergangenheit -- oder gerade darum? -- mit einem Vorwurf zu Fall gebracht werden, der in keinem Verhältnis zu seinem aufklärerischen Verdienst steht.
Thomas Bernhard empfand öffentliche Ehrenfeiern "abstoßend und ekelerregend". Preisgelder waren ihm selber aber hochwillkommen.
Das Phänomen des Störenfrieds verdankt seinen Erfolg möglicherweise just aus dieser Anstößigkeit.
Die Wiener Zeitung widmet dem Störenfried einen Artikel.
Wer aus Sympathie Bücher kauft, sollte genau hinschauen. Literarische Qualität findet man nicht immer nur bei den "ganz braven". Harmoniesucht entwickelt keine tragischen Konflikte -- in der Regel. Grantigkeit ist bisweilen langer Frustration oder Verbitterung durch Schicksalsschläge und Enttäuschungen geschuldet, oft auch aus Qualen des Körpers, der einem das Wohlbefinden versagt.
Die Kunstgeschichte ist übervoll von großen Leistungen unglücklicher, unbeliebter und an allen möglichen Gebrechen und seelischen Wunden leidenden Menschen. Und sie waren mit Sicherheit nicht alle und nicht immer pflegeleicht. Das macht in der bildenden Kunst normalerweise keinen Makel aus, denn wir sehen das Bild, weniger den Menschen. Warum also sollte es in der Literatur anders sein?
Unerhört
Ist vielleicht auch etwas unerhört, was bislang noch niemand gehört hat? Ja, denn neue Gedanken sind offensiv, ohne es sein zu wollen. Nur vertraute Gedanken verunsichern nicht. Doch müssen neue Gedanken her, wenn sich Kultur entwickeln soll. Nicht Widerkäuen, sondern Innovation ist Kennzeichen einer Kunst, die diesen Namen verdient. Sie ist unerhört, stört, verstört, rebelliert, und das sogar ohne Absicht, in irgend eine Richtung zu wirken. Wann immer etwas geschaffen wird, ohne dass der Künstler seinem Publikum hinterherläuft, passiert eben das.
Stellen wir uns einmal vor, die Sterne in den Rezensionen würden reine Benimm-Noten.
Wie stünde es da um die Kunst?