Montag, 2. Mai 2022

Zu Pasolinis Film "120 Tage von Sodom"

Auf der Facebook-Seite "Faktastisch" war folgender Artikel zu lesen:

Pasolinis Film "Die 120 Tage von Sodom"

Ich fühlte mich genötigt, auf einige der Kommentare zu antworten.
Meine Antworten habe ich zusammengefasst und ergänzt. Hier meine Antwort:

Es hat mit Kunstfreiheit nichts mehr zu tun. Und das sage ich als Sadomasochistin, die tief in die Szene eingetaucht war. Es ist eine mörderische Verfälschung, die Fantasien des Marquis de Sade in Folter und Freiheitsberaubung umzusetzen. Dieser Regisseur Pietro Paolo Pasolini (*1922, +1975) hatte nicht das Recht, Sexpraktiken, die unbedingt einvernehmlich sein müssen, zu benennen und sie dann als Folter zu inszenieren. Selbst wenn wir wissen, dass es sich um gestellte Szenen handelt: Die Fantasien de Sades waren Fantasien, die er nicht 1:1 in die Realität umgesetzt wissen wollte. Es gibt keine Praktiken mit ernsthaften Verletzungen, die ihm je nachgewiesen werden konnten. Somit darf sich PPP nicht auf ihn berufen.
Der politisch korrekte Sadomasochismus hält sich an Regeln und hat ein Ethos, das Freiwilligkeit, Sicherheit und klare Sinne verlangt. Das heute übliche Kürzel BDSM steht dafür.
Ein Filmprodukt wie das oben beschriebene (und ja, ich habe die 120 Tage von Sodom gelesen!) ist eine bösartige Attacke auf die Freiheit der Sexualausübung und ködert verlogen durch Szenen, die dennoch auf sexuelle Trigger spekulieren.
„Da ist viel Sex drin, eher in Richtung Sado-Masochismus, der eine ganz bestimmte Funktion hat – nämlich den menschlichen Körper auf eine verkaufsfähige Ware zu reduzieren“, erklärt der Regisseur seine Beweggründe.
In dieser Hinsicht ist er im Irrtum, was alle BDSM-Aktivitäten ohne kommerziellen Bezug betrifft. Und auch die kommerziellen Aktivitäten müssen sorgfältig unter die Lupe genommen werden, um zu untersuchen, ob es da eine Schnittstelle von sexueller Ausbeutung und SM-Praktiken gibt, die ich nicht kenne. Sadomasochismus an sich hat zu allerletzt den Grund, den Pasolini da annimmt, und wo auf "verkaufsfähige Ware reduziert" wird, geht es zum allergrößten Teil um den handelsüblichen Sex. Sofern da Praktiken aus dem SM mitspielen, kann das sicherlich in der Zwangsprostitution geschehen; aber schon das Wort "Zwang" trennt solche Brutalitäten vom Bereich BDSM ab, der auf Freiwilligkeit beruht. Das ist seine Conditio sine qua non, das entscheidende Merkmal.
Unter den Reaktionen auf der Facebookseite waren auch die "kleinen Angeber", die sich in etwas pubertärem Tonfall darüber ausließen, dass sie schon Grausameres gesehen hätten, es würde ihnen nichts ausmachen, das sei langweilig.
Unser Gehirn kennt in der Entwicklungsgeschichte erst seit 100 Jahren den Film. Wenn die Menschheitsgeschichte ein Tag wäre, dann wäre das ein Bruchteil einer Sekunde. Unsere wichtigen Gehirnteile verstehen den Unterschied zwischen Film und Realität nicht. Würden wir sonst bei sehr spannenden Filmen Herzklopfen bekommen? Welchen Sinn macht es, Adrenalin auszuschütten, wenn man in der warmen Wohnung vor dem Bildschirm sitzt?
Darum kann man das vergleichen: Weil der verrohende Effekt ähnlich sein kann, wenn man dafür empfänglich ist oder sich oft und lange genug mit solchen Inhalten befeuert.
Das Gehirn ist programmierbar.

"Die 120 Tage von Sodom", Marquis de Sade

Ich habe es gelesen. Und man darf nicht vergessen: De Sade hat seine Vorstellungen niemals 1:1 in die Tat umgesetzt, sondern er wusste, dass es Fantasien sind. Sadomasochismus, der auf seinem Namen beruht, wird üblicherweise so praktiziert, dass alles freiwillig, unter Erwachsenen, mit klarem Verstand und unter größtmöglicher körperlicher und emotionaler Sicherheit geschieht. Das Spiel mit Schmerz kann äußerst erhebend sein, aber es muss auf jeden Fall in einem abgesicherten Rahmen geschehen. Was Pasolini da aber macht, ist sowohl für die Konsumenten ohne BDSM-Neigung schädlich, als auch für BDSM, der korrekt ausgeübt wird. Er hat wohl den heuchlerischen Weg gewählt, sich einerseits an der Thematik zu delektieren und seine Gelüste mit dem Beobachten der Schauspieler auszuleben, zugleich aber die Darstellung so angelegt, dass Widerwille und moralische Verurteilung erfolgen MUSS. Das heißt, es ist ein Anti-BDSM-Propagandafilm der heuchlerischsten Art.

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