Montag, 16. März 2015

Pflichtlektüre

Ist Christian Grey denn nun "verkorkste 50 Schattierungen von Grey/Grau", weil er so eine grauenhafte Kindheit hatte? Ich schlage mich tapfer durch die Trilogie, denn ich will es wissen, ich will endlich wissen, ob die Krankhaftigkeit seiner Kindheit und Teenagerzeit tatsächlich von der allwissenden Autorin ex Cathedra zur Ursache für seinen Sadomasochismus erklärt wird. Jetzt bin ich bei 53% der Lektüre, und es sieht schwer danach aus. Es ist ja noch ein weiterer pathologischer Fall eingetreten: Seine Ex-Sub ist nach mehreren Stalking-Versuchen in das Apartement der Heldin eingedrungen und hat eine Waffe. Eigentlich gehörte sie erschossen für die Verwendung des Klischee-Satzes "Was hat sie, das ich nicht habe?" -- aber sie wird durch das liebevolle Eingreifen des Helden entschärft, was wiederum bei der Heldin zu heftigen Eifersuchtsgedanken führt, die in keinem Verhältnis zu der befriedenden Wirksamkeit seines Handelns stehen. Blöde Kuh, freu dich doch, dass ihr alle mit dem Leben davongekommen seid!
Vorher schon hat die gnadenlose Axt des Kitsches zugeschlagen und der Literatur irreparablen Schaden zugefügt, als Christian auf Knien und unter Tränen bat, dass Ana ihn nicht verlassen möge, und als wäre das nicht genug, geht sie auch auf die Knie, um die gleiche Höhe herzustellen, und dann führen sie seitenlange Dialoge in dieser Position, ohne in Kichern auszubrechen. Da taten mir ja schon die Knie beim Lesen weh, aber noch heftiger reagierte meine Antenne für literarische Entgleisungen, die sonst eher schwer reagiert, aber hier kamen die Signale im Katastrophentakt rein.
Dann kommt die gnadenreiche Madonna Ana in Kontakt mit den Narben, die sein Trauma beschreiben, als der Lover seiner Mutter seine Zigaretten auf Brust und Nacken des Vierjährigen ausgedrückt hat. Im Prinzip kennt menschliche Grausamkeit keine Grenzen. Diese Spuren jedoch in der Weise in die Handlung zwischen den Liebenden einzuflechten verlässt derartig die Grenzen des guten Geschmacks, wie man es eigentlich nur schafft, wenn man ein Teenie ist und unter dem ungeregelten Zufluss neuartiger Hormone die seltsamsten Produkte des Hirns heimlich in seine zweckentfremdeten Schulhefte kritzelt. Ich bekenne mich zu ähnlichen Sünden, aber die wurden mir schon mit 18 peinlich.
Um aber herauszufinden, ob die Idee vom kranken Sadomasochisten dem naiven kleinen Gehirn von Ana entsprungen ist, lediglich widergegeben von der Autorin E.L.James, oder ob sie dem naiven kleinen Gehirn der Autorin selbst entsprungen ist, das muss mich die ganze Trilogie lehren. Seufz. Dann mal ran an die restlichen 47%.

Update

Jetzt bin ich bei 57%, und siehe da, die beiden besuchen seinen Psychiater, und der erklärt ihr, dass Sadomasochismus ein sexueller Lifestyle ist, keine Krankheit. Puh. Schweiß von der Stirn wisch.
Grey sei also kein klinischer Sadist, auch kein Lifestyle-Sadomasochist, sondern habe sich da etwas Aufgesetztes als Selbsttherapie verschrieben.
Na, wie sollen die Leser das denn differenzieren?
Bin mal gespannt, ob der Film #2 das klären kann.

Mittwoch, 25. Februar 2015

Film und Buch -- eine spannungsreiche Paarung

Fifty Shades of Grey ist ein literarisches Produkt, über das ich lange die Nase gerümpft habe. Es ist auch noch schlecht geschrieben. Allerdings wird die Autorin, eine Autodidaktin, von der Geschichte getrieben. Nun gut, es ist so geschrieben wie die meisten Unterhaltungsromane, mit einem Mittel, das man vermeiden sollte, nämlich die stummen Fragen. Die Heldin fragt sich öfter mal, wie es weitergehen soll oder was sie jetzt tun soll, wo sie hier eigentlich ist... Schreckliche Angewohnheit, so zu schreiben. Die Erzählung aus der Ich-Perspektive verführt ungemein dazu.
Und wahrscheinlich ist die Ich-Perspektive der springende Punkt. Denn das ist der große Unterschied zwischen dem gedruckten Werk und der Verfilmung: Die Sicht aus den Augen der Heldin verwandelt sich in eine Sicht des Betrachters, des Publikums, und auf dieser Bühne agiert auch die Heldin, und ihre eigenen Gedanken müssen mit einem künstlerischen Mittel ausgedrückt oder reduziert werden bis zu dem Punkt, wo sie gar nicht mehr vorkommen. Die Heldin kann ihre Gedanken sprechen, mailen, schreiben (und dann wird die Stimme aus dem Off sie vortragen), sie kann sie in den Dialog transportieren, auf jeden Fall werden sie nicht mehr so breiten Raum einnehmen, und in diesem Fall kann man auch froh sein darüber.
Denn eine große Gefahr in diesem Buch ist, dass die Gedanken der Heldin direkt zur Message werden. Wenn sie gerade mit BDSM auf die Schnauze gefallen ist, ist ganz direkt SM scheiße. Wenn man nur den ersten Teil im Kino sieht, ist es klar: Das, was der Grey da mit ihr macht, geht gar nicht. Vor dem muss gewarnt werden.
Mit dieser Meinung bin ich ins Kino gegangen und wurde nach und nach auf eine neue Spur gelockt, was mich selber überrascht hat.
Ich war auf Krawall gebürstet und hatte keine gute Meinung von Grey, den ich für einen Missbraucher und Stalker hielt. Tatsächlich respektiert er vielfach nicht die Grenzen, die sie setzt, und auch nach ihrer Trennung, als sie eine Begegnung zulässt, fängt er sehr schnell wieder an, sie zu toppen, meistens im Gewand des Fürsorglichen, der ihr befiehlt, richtig zu essen.
Dennoch kommt er im Film sehr viel korrekter rüber, als die negativen Kritiken vermuten lassen.

Ich bin positiv überrascht und empfehle, den Film anzuschauen. 

Generell kann man Grey nicht vorwerfen, er würde nicht einvernehmlich handeln. Die große Zahl der Nachfragen, ob Anastasia einverstanden ist mit dem, was er tun möchte, die vielen Informationen, die er ihr vermittelt, erwecken aber eher den Eindruck, dass er ehrlich darum bemüht ist, seiner Sub ganz klar zu kommunizieren, wohin die Reise gehen soll. Da sie aber nur am Sex und danach am Kuscheln mit ihm interessiert ist, vernachlässigt sie den Auftrag, im Internet zu recherchieren, was die Inhalte des Vertrages sind. Da sie es noch nicht fühlt, ist Pain Play für sie böhmische Dörfer, selbst wenn sie es theoretisch versteht.
Und darum kann man es ihm nicht vorwerfen, dass er ihr unliebsame Überraschungen bereitet, denn er hat sich ja redlich darum bemüht, ihr zu vermitteln, was er da tut. Vielleicht gibt es bessere Methoden, sie in die dunklen Künste einzuweihen. Vielleicht hätte das, was er da tut, bei einer begabteren Schülerin besser geklappt.
Vielleicht hat sie ihm aber auch den falschen Eindruck vermittelt, dass sie eine devot-masochistische Sub ist, die nur erst geweckt werden muss, indem sie halbherzig auf Dinge einging, die sie tat, weil sie in ihn verknallt ist, und die dann doch über ihre Kräfte gegangen sind.
Es ist im Film leichter herauszufinden, ob die geäußerten Ansichten die Message der Drehbuchautoren sind oder doch nur die subjektive und veränderliche Meinung der Heldin.
Worauf ich noch mit einer gewissen Spannung warte, das ist die weitere Entwicklung, und ob (wahrscheinlich), und wie es ihr gelingen wird, eine BDSM-Veranlagung in sich zu entdecken.
Vermutlich wird es da eine Entwicklung geben, um das vor dem Anlaufen des 2.Teils im Film zu erfahren, muss ich die Bücher lesen. Seufz.

Mittwoch, 18. Februar 2015

"Kabelbinder bitte nicht benutzen!"

Lydia Benecke im ZDF
Etwa ab Minute 33:30

Diplom-Psychologin Lydia Benecke in "Lanz" äußert sich über Shades of Grey.
 
"Das ist das Schlimme an der Geschichte, dass es um einen Sadisten geht, der nicht wirklich eine einvernehmliche Partnerin will, die er an sich heranlassen will, sondern er will eine Puppe, die unterschreibt, dass er alles mit ihr tun kann." 
 
 
Frau Benecke hat sich viel mit echten Sadisten, also Verbrechern, beschäftigt. Sie sagt, Grey kommt denen näher als einem aktiven Sadomasochisten, der die Regeln einhält, die in der Szene üblich sind. Der entscheidende Punkt, den sie betont, ist, dass ein wirklicher, ein gefährlicher Sadist keine Nähe entstehen lässt. Er will sich auch nicht mit einem Masochisten/einer Masochistin einlassen, weil er nicht will, dass das "Opfer" Freude daran hat, sondern er will wirklich zerstören, Angst einflößen.

In New York, so erzählt sie, war sie, als die Bücher gerade den ersten Wirbel machten. Und dort gibt es Stammtische, zu denen die Leser dieser Geschichte kamen, die befremdet waren durch die Sitten, die in der Szene herrschten. Diese Leute reden ja vor und nach der Aktion! Sie haben ein Safe-Wort... Da haben die Leser der Bücher doch mal versucht, die anderen aufzuklären, die es ihrer Meinung nach nicht richtig machten...

Solche Geschichten können auch die Leute von den SCHLAGZEILEN berichten.

Am Schluss warnt Lydia vor Kabelbindern. Sie ziehen sich bei jeder Bewegung fester zu, und wenn man nicht rechtzeitig ein gutes Schneidewerkzeug zurechtgelegt hat, "werden die Hände dunkelrot, und jemand rennt dann in Panik durch die Wohnung."
 

Dienstag, 17. Februar 2015

O-Ton Facebook

Dem Folgenden habe ich nicht viel hinzuzufügen; in einer der kommenden Ausgaben der SCHLAGZEILEN werde ich mit einem Schwerpunktbeitrag zu dem Thema beteiligt sein. Bis dahin viel Spaß mit der Rezension einer mir nicht bekannten jungen Dame, mit einem von über 4700 Kommentaren auf nur einen von sicherlich vielen Threads, die von Buch und Film in den höchsten Tönen schwärmen. Bis auf wenige Ausnahmen...

"Ich bin absoluter Fifty Shades of Grey Fan weil mich die Geschichte und grade die Entwicklung um das Wesen von Christian Grey nahezu umgehauen hat. Viele Menschen sehen keine sinnvollve Story darin und beschränken die Bücher lediglich auf den sexuellen Teil... das stimmt einfach nicht !!!! JEDER der sich ausreichend Zeit genommen hat die Trilogie eingehend zu lesen und in seiner Gänze nachvollziehen kann wird wissen wovon ich rede. Es ist einfach Christian Grey, der dieser Geschichte Sinn, Humor und Klasse verleiht... Man muss sich nurmal vorstellen wie er sich im Laufe der Romane entwickelt. Er als psychisch geschädigter Mann, der in seiner Kindheit durch die pure Hölle gehen musste, hat seine ganz eigene sichere Welt die er sich aufgebaut hat."


Sadomasochisten sind nicht geschädigter als andere Leute. Ein Zusammenhang zwischen solchen Neigungen und irgendwelchen traumatischen Kindheitserlebnissen konnten mit wissenschaftlichen Methoden ausgeschlossen werden.

"Er braucht die Kontrolle und die Sicherheit die er nie spüren konnte... Schmerz, Lust, Flogger, Rohrstöcke, Fesseln... all das ist seine Welt." 

Sadomasochisten als irgendwie krank zu bezeichnen ist eine ebenso falsche wie kränkende Aussage. Sie unterscheidet sich in nichts von einer Auffassung, die wir inzwischen (hoffentlich) überwunden haben, nämlich, dass Schwule und Lesben krank seien. Dies ist etwas ganz Ähnliches.

"Die Geschichte basiert in ihrer Ganzheit darauf, dass Christian durch die Liebe zu Anastasia und durch ihr Wesen vor sich selbst gerettet wird."

Wir wissen inzwischen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass Sadomasochismus eine Veranlagung ist, die weder eine "Rettung" oder "Heilung" möglich macht, noch, dass es wünschenswert ist, jemanden zu "retten". Tatsächlich steckt in so einer Aussage eine Überheblichkeit, die schwer zu ertragen ist.

"In seinem bisherigen Leben war Grey zufrieden... Ein annehmbares, für ihn einziges Leben das er kennt. Aber er lebt nicht.. er ist stets geplagt von Träumen,Gedanken und Erinnerungen an seine Kindheit... Er hat zwar die Kontrolle die er braucht, und dennoch hatte er niemanden an dessen Liebe er sich orientieren und stützen konnte.Wer die Bücher kennt der weiss einfach wie Greys Leben aus den Fugen gerät als er Ana begegnet..."

Ja, das merkt man auch an der Art, wie er sie stalkt. Er hackt sich sogar in ihr Handy und findet heraus, wo ihre Familie lebt. Das ist hart an Kriminalität.

"Mit ihr hat er endlich den Anfang in ein besseres Leben gefunden... wie es im Buch heißt "auf die helle Seite des Lebens" Seine aufrichtige Liebe zu Anastasia gibt ihm den nötigen Anstoß sich selbst im Leben nicht mehr im weg zu stehen und sich zu hassen. Er macht einen enormen Wandel durch. Was er alles für sie aufgibt um zum Wohle der gemeinsamem Zukunft mit der Frau die er liebt das Leben kennen und lieben zu lernen zeugt von unendlicher bedingungsloser Liebe und Hingabe."

Wenn er sie bedingungslos lieben würde, dann würde er nicht so eifersüchtig auf ihre Bekanntschaften regieren -- und vor allem: Er würde es respektieren, wenn sie nicht will. Er ist ein Vergewaltiger.

"Es ist außerdem überaus amüsant zu sehen wie er sich dabei schlägt... seine ersten über die Stränge schlagendem Versuche romantisch zu sein sind liebevoll und lustig zugleich... Es macht einfach undendlich viel Freude die Entwicklung dieser verkorksten Beziehung wachsen zu sehen und wie sich das ganze immer weiter in Richtung licht entwickelt.... Ich bin vernarrt in Grey und den Versuch sich durch die Liebe zu einer Frau auf die helle Seite des Lebens zu schlagen, auf der er Erfahrungen,Gefühle und Dinge erleben wird, die er als kleiner, gestörter Junge ganz Tief in seinem Inneren vor der Welt verschlossen hat...Dieser Mann ist ein Kontrollfreak und abgefuckt in seinen 50 Facetten...Und dennoch kämpft dieser Mann....immer und immer wieder...und das ist unglaublich ! *.* All das,macht mich und hoffentlich auch viele andere hier zu wahren
#FiftyShadesOfGrey Fans !"

Mütter, Väter, haltet eure jungen Töchter von solchen Typen fern! Frauen, wenn so jemand um die Ecke kommt, rennt, so schnell es auf hohen Pumps geht!


Hierzu auf Englisch:
Eine wissenschaftliche Arbeit über Einvernehmlichkeit

Ein Aufsatz im "Skalpell" -- "The Lancett", Abteilung Psychiatrie
-- sehr kritisch, aber doch mit dem positiven Ausblick:
"Wenn die Gesellschaft die sexuelle Selbsterneuerung von Minderheiten genau so akzeptiert wie die der Mehrheit, dann kann es eine Veränderung geben. Jetzt noch ist es so, dass Therapeuten, die Menschen mit BDSM-Lebensstil ablehnen oder für krank erklären, eine Chance zum Dazulernen verpassen; aber noch wichtiger: Sie bringen potentiell die mentale Gesundheit ihrer Klienten und Patienten in Gefahr. Hier ist die Chance, die Dinge zu ändern."

"When society accepts the sexual self-actualisation of minorities as well as the majority, change might happen. Right now, therapists who reject or pathologise people from the BDSM lifestyle are losing an opportunity to learn, but more importantly they are potentially endangering the mental health of their clients and patients. Now there is a chance to change things."


Sonntag, 1. Februar 2015

Verlangen und Nähe

Esther Perel hält einen Vortrag zum Valentinstag (Ich verlinke die deutsche Übersetzung in schriftlicher Form): Leidenschaft und Vertrautheit schließen sich aus.
Sex ist ein Ort, an den mal geht und wo man alles hinter sich lassen kann, was sonst den Alltag bestimmt. Das Überraschende, die Fremdheit sind
unentbehrlich für den Kick.
Alle Menschen suchen Geborgenheit, und alle Menschen suchen aufregende, leidenschaftliche Erotik (ja, bis auf ein paar Ausnahmen, es gibt asexuelle Menschen, denen noch nicht einmal etwas fehlt; und es gibt Nonnen und Mönche).
Problematisch ist ja nur, dass wir eine Legende geschaffen haben, dies müsse beides zusammen stattfinden.

Die Einehe in moderner Form enthält einen enormen Anspruch. Sie ist Lebensgemeinschaft, ob mit oder ohne Kinder, sie ist zu einem schützenswerten Gut erklärt worden, was dem Einfluss der Kirche geschuldet ist. Dabei kann das in unserer Zeit nicht mehr funktionieren, wie Esther Perel schlüssig nachweist. Wir erreichen im Schnitt ein viel höheres Alter als unsere Vorfahren, aber wir haben keinen ausreichenden Input, wie wir solche langjährigen Ehen idealerweise leben und mit Sinn füllen sollen.
Wie ist die Leidenschaft am Leben zu erhalten?
Perels Vorschlag, einer unter vielen, ist, dass eine gewisse Distanz zwischen den Partnern vorhanden sein könnte, die die Leidenschaft von Neuem erweckt, wenn sie "totgekuschelt" wurde. In vielen Gesellschaften, so fasse ich meine Lektüren zusammen, die wir als "Naturvölker" oder als "Primitive" zu bezeichnen gelernt haben, gibt es Frauenhäuser und Männerhäuser, bei manchen schlafen die Geschlechter meistens getrennt, wenn es nicht gerade um Liebe geht; die sozialen Bezüge sind damit vor Einseitigkeit geschützt, Mann und Frau haben teilweise je ihre eigene Welt, ihre eigenen Arbeiten und sozialen Gruppen, sie können immer wieder von Neuem die Frage stellen: "Gehen wir zu dir oder zu mir?"

Es ist schwer, unsere Gesellschaft in dieser Weise umzustrukturieren; allein schon die auf eine Kleinfamilie ausgerichtete Normalwohnung erzwingt, dass der Ehepartner hauptsächliche Bezugsperson ist. Wir kommen in eine gesellschaftliche Entwicklung, in der das Wohngemeinschaftsmodell mehr Zukunft haben könnte als ihm vor 40 Jahren vorausgesagt wurde. Damals gab es Impulse, die traditionelle Kleinfamilie zu überwinden durch ein Beziehungsgeflecht, das auch Wohngruppe sein sollte. Dieses Modell lebt allenfalls noch in ein paar studentischen Wohngemeinschaften, aber als Interaktion aller mit allen eher nicht, scheint mir.

Zugleich öffnen sich aber Ehen immer mehr zu Poly-Modellen, zumindest in unserer BDSM-Szene. Die Einsicht, dass man nicht alles von einem/einer bekommen kann, ist besonders dort sehr präsent. Ein Top heiratet eine Switcherin: Schon ist die Tür geöffnet für andersartige Modelle, sofern es der Partner ertragen kann. Madame toppt andere Männer, ihr Top muss sich damit zufriedengeben, dass Madame ihm verspricht, sie werde mit ihrem Sub vieles von dem nicht tun, was sie mit ihrem Top tut.
Ströme von Eifersucht durchfluten diese neuartige Flusslandschaft, die sich mit jedem Jahr wieder neue Betten gräbt und neue Ufer unterspült.

Und fast jeder, der an die kühnen und geilen Entwürfe glaubte, der sich selbst in die Tasche log, er würde die Architektur der polyamourösen Konstruktionen mittragen können, sieht sich jetzt vor eine enorme Kraftprobe gestellt: Zu lieben und die Interaktion des eigenen Partners mit anderen zu ertragen. Und so mancher Entwurf, der mit so viel Optimismus ausgerollt wurde, erweist sich in der Praxis als Skizze eines grandiosen Scheiterns. Aber vielleicht ist das Teil eines Erkenntnisprozesses, um den wir in dieser Epoche nicht herumkommen.


Samstag, 31. Januar 2015

Schließt Machtgefälle Demokratie aus?

Wir haben uns ein Stück weit von der Normalität der Gleichberechtigung entfernt. Sofern beide einverstanden sind, wenn nicht die Interessen anderer berührt werden, können zwei oder mehr Menschen privat ihre Herrschaftsverhältnisse und ihr Machtgefälle einrichten, wie sie es wollen. Ob Macht Missbrauch ist, das entscheidet sich für uns nicht aufgrund irgendwelcher abstrakter Grundsätze oder göttlichen Empfindlichkeiten, auch wenn es eine Reihe Menschen geben mag, die Gottes Zorn oder Greuelgefühle fürchten, wenn eine Frau komplett die Herrschaft über einen Mann übernimmt.
Aber selbst im Koran ist die Herrschaft des Mannes an eine Bedingung geknüpft: "... da er der Vernünftigere ist". Könnte es nicht heißen, "sofern er der Vernünftigere ist"? Ja, und wo er es nicht ist, da regiert Madame mit Fug und Recht. Schließlich heiratete der Prophet eine ältere, erfolgreiche Geschäftsfrau; wohl anzunehmen, dass zunächst einmal sie das Zepter schwang.

Wenn wir Herrschaftsverhältnisse à la FemDom einrichten, dann folgen wir nur in den seltensten Fällen einer Religion, allenfalls setzen wir uns in Widerspruch zu einer angestammten Sittenlehre. Fragen wir aber nach dem Sinn, dann liegt der für uns in der Freude, die uns das macht, in der Stimmigkeit, die die Rollenverteilung für beide Beteiligten besitzt. Und es wäre schlecht, wenn einer von beiden sich in seiner Position nicht wohlfühlen würde.

FemDom heilt alte Wunden. Die Verehrung, die ein devoter Mann uns entgegenbringt, die Hilfen, die er anbietet (wenn er ein guter Devoter ist), der Gehorsam, den wir von ihm erfahren, das tut uns wohl. Und wenn es gut läuft, kommt es zu einem Austausch der Kräfte, von dem beide ihr Glück beziehen. Er taucht ein in die Tiefen der Schmerzlust oder der Freude an Demut oder an beidem. Ich genieße es, nicht die Demütigung eines -- selbst lieb gemeinten -- Getopptwerdens durch einen Mann aushalten zu müssen.

Problematisch ist die Konstellation aber dann, wenn wir uns aus lauter Vergnügen an den neuen Rollen von den bürgerlichen Rechten verabschieden. Dominanz kann so bequem sein, dass man jegliches eigene Bemühen als Zumutung empfindet, und die Anerkennung, die lückenlos alles abdeckt, was wir tun, kann dazu führen, dass wir nicht mehr in der Lage sind, unser eigenes Handeln selbstkritisch zu reflektieren, und was noch schlimmer ist: Wir können dann Kritik von außen nicht mehr ertragen. Wir empfinden sie als Rebellion, als die Aufkündigung jeglicher Loyalität und Unterwerfung. Und wir reagieren mit Sprüchen, die unsere Urgroßväter nicht besser hätten formulieren können. "Wenn dir das nicht gefällt, kannst du ruhig gehen." -- "Ich dachte, dir liegt was an mir." -- "Willst du mich jetzt zur Abwechslung toppen? Ohne mich."

 Es ist gesund, die Ebene des Toppens regelmäßig zu verlassen, um sich mit seinem Sub auf Augenhöhe zu unterhalten. Es ist klüger, sich auch mal die Gedanken des Sub erzählen zu lassen, auch wenn man dann feststellt, dass er mich auch mit kritischem, klarem, vielleicht im ersten Moment scheinbar kaltem Blick sehen kann. Auch wenn die Macht uns tröstet, wenn sie die vielen Demütigungen zu heilen scheint, die das Leben uns verpasst hat, so darf sie uns nicht verführen, von unserer Seite aus eine Willkürherrschaft zu errichten, in der der Wille anderer, zumal derer, die nicht gefragt worden sind, nicht respektiert wird. Ein Machtgefälle, das nicht von beiden Seiten getragen wird, ist nicht einvernehmlich. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns letztendlich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. Dass unser Machtgefälle, so real es uns erscheinen mag, nichts anderes ist als eine Verabredung gegen die Rechtsnorm, eine Abmachung, die jederzeit in sich zusammenfallen kann. Und auch im Sozialleben sollten wir das nicht vergessen.

Die Szene entwickelt sich zu einen Geflecht von subkulturellen Gruppen, deren Verhalten von ganz offen bis zu ganz klandestin reicht. Der verführerische Charme einer solchen Gründung kann in einer meistens angemaßten und von den anderen geduldeten Machtposition liegen. Selten organisieren sie sich basisdemokratisch; meistens tun sie es nur dann, wenn eine politische Überzeugung im Hintergrund steht, die von der letztlichen Gleichheit der Menschen ausgeht. Und diese Überzeugung muss schon recht stark sein, damit man sie in diesem Zusammenhang praktizieren möchte. Aber je größer die sozialen Verbünde werden und je mehr die Zusammenkünfte Regeln verlangen (denn die sind immer notwendig, wenn eine große Zahl von Menschen zusammentrifft), umso wichtiger ist auch der Konsens, allein schon, um Ruhe und Harmonie zu erzeugen.
Darum kommen wir auch in der BDSM-Welt auf die Dauer nicht drum herum, uns mit basisdemokratischen Mitteln die Zustimmung der Beteiligten zu beschaffen. Auch dann, wenn allen erschienenen Damen angeleinte nackte Sklaven zu Füßen liegen und ihnen die Lackschühchen küssen, sind doch die Ladies unter sich gleich, Ritterinnen der Tafelrunde.

Tag 31: Was sind deine nächsten Ziele, und welche Schritte stehen dir als Nächstes bevor?

  #charactersofoctober #desschreiberswildeträume Fido: Mein Ziel ist es, den Kurs der Annäherung von Menschen und Thieren weiter zu verfo...