Esther Perel hält einen Vortrag zum Valentinstag (Ich verlinke die deutsche Übersetzung in schriftlicher Form): Leidenschaft und Vertrautheit schließen sich aus.
Sex ist ein Ort, an den mal geht und wo man alles hinter sich lassen kann, was sonst den Alltag bestimmt. Das Überraschende, die Fremdheit sind
unentbehrlich für den Kick.
Alle Menschen suchen Geborgenheit, und alle Menschen suchen aufregende, leidenschaftliche Erotik (ja, bis auf ein paar Ausnahmen, es gibt asexuelle Menschen, denen noch nicht einmal etwas fehlt; und es gibt Nonnen und Mönche).
Problematisch ist ja nur, dass wir eine Legende geschaffen haben, dies müsse beides zusammen stattfinden.
Die Einehe in moderner Form enthält einen enormen Anspruch. Sie ist Lebensgemeinschaft, ob mit oder ohne Kinder, sie ist zu einem schützenswerten Gut erklärt worden, was dem Einfluss der Kirche geschuldet ist. Dabei kann das in unserer Zeit nicht mehr funktionieren, wie Esther Perel schlüssig nachweist. Wir erreichen im Schnitt ein viel höheres Alter als unsere Vorfahren, aber wir haben keinen ausreichenden Input, wie wir solche langjährigen Ehen idealerweise leben und mit Sinn füllen sollen.
Wie ist die Leidenschaft am Leben zu erhalten?
Perels Vorschlag, einer unter vielen, ist, dass eine gewisse Distanz zwischen den Partnern vorhanden sein könnte, die die Leidenschaft von Neuem erweckt, wenn sie "totgekuschelt" wurde. In vielen Gesellschaften, so fasse ich meine Lektüren zusammen, die wir als "Naturvölker" oder als "Primitive" zu bezeichnen gelernt haben, gibt es Frauenhäuser und Männerhäuser, bei manchen schlafen die Geschlechter meistens getrennt, wenn es nicht gerade um Liebe geht; die sozialen Bezüge sind damit vor Einseitigkeit geschützt, Mann und Frau haben teilweise je ihre eigene Welt, ihre eigenen Arbeiten und sozialen Gruppen, sie können immer wieder von Neuem die Frage stellen: "Gehen wir zu dir oder zu mir?"
Es ist schwer, unsere Gesellschaft in dieser Weise umzustrukturieren; allein schon die auf eine Kleinfamilie ausgerichtete Normalwohnung erzwingt, dass der Ehepartner hauptsächliche Bezugsperson ist. Wir kommen in eine gesellschaftliche Entwicklung, in der das Wohngemeinschaftsmodell mehr Zukunft haben könnte als ihm vor 40 Jahren vorausgesagt wurde. Damals gab es Impulse, die traditionelle Kleinfamilie zu überwinden durch ein Beziehungsgeflecht, das auch Wohngruppe sein sollte. Dieses Modell lebt allenfalls noch in ein paar studentischen Wohngemeinschaften, aber als Interaktion aller mit allen eher nicht, scheint mir.
Zugleich öffnen sich aber Ehen immer mehr zu Poly-Modellen, zumindest in unserer BDSM-Szene. Die Einsicht, dass man nicht alles von einem/einer bekommen kann, ist besonders dort sehr präsent. Ein Top heiratet eine Switcherin: Schon ist die Tür geöffnet für andersartige Modelle, sofern es der Partner ertragen kann. Madame toppt andere Männer, ihr Top muss sich damit zufriedengeben, dass Madame ihm verspricht, sie werde mit ihrem Sub vieles von dem nicht tun, was sie mit ihrem Top tut.
Ströme von Eifersucht durchfluten diese neuartige Flusslandschaft, die sich mit jedem Jahr wieder neue Betten gräbt und neue Ufer unterspült.
Und fast jeder, der an die kühnen und geilen Entwürfe glaubte, der sich selbst in die Tasche log, er würde die Architektur der polyamourösen Konstruktionen mittragen können, sieht sich jetzt vor eine enorme Kraftprobe gestellt: Zu lieben und die Interaktion des eigenen Partners mit anderen zu ertragen. Und so mancher Entwurf, der mit so viel Optimismus ausgerollt wurde, erweist sich in der Praxis als Skizze eines grandiosen Scheiterns. Aber vielleicht ist das Teil eines Erkenntnisprozesses, um den wir in dieser Epoche nicht herumkommen.
Sonntag, 1. Februar 2015
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