Montag, 9. Oktober 2023

Tag 10: Welche Schwäche ist tödlich?


Hieronymus Lohebrannt:
Das Versagen des Selbstvertrauens, wie bei Aryol, als er sich töten wollte. 
 
Wir ‘Thiere’ sind gierige Wesen, nur von Verlangen getrieben, und das wird uns so viel Leiden verschaffen. Wem würde er opfern? An Götter glaubte er nicht. "Wir sind die göttlichen Thiere. Euch, Brüder, schenke ich mich."
Er ritzte sein Handgelenk an. Blut sprang hervor. Es rann auf den Waldboden. Sofort waren Ameisen da, sofort schwirrten Fliegen herbei und sammelten sich um die kleine Lache, die entstanden war. Zu ihm wollten sie auch, er wehrte sie ab.
‚Vielleicht ist das der Sinn meines verpfuschten Lebens‘, dachte er, ‚dann bin ich weg und kann das Leben der anderen nicht mehr ka­puttmachen. Und ein paar Wesen kriegen was zu essen. Ich müsste alle auf diese Weise füttern. Alle hungernden Wesen, Menschen und Tiere. Wir haben nur genommen. Nun ist es Zeit zu geben.‘
Er wusste, dass er nicht leicht sterben würde. ‚Um einen wie uns zu töten, muss man schon den Kopf abschlagen‘, dachte er mit einem grimmigen Lachen. Und er würde auch nicht leicht das Bewusstsein verlieren. Er würde also in der Lage sein, seinem Sterben in Ruhe zuzusehen, bis er jenseits von Rettung wäre, und dann käme wirklicher Schlaf, wirkliche Ruhe, das Ende von Leiden, Stille.
Er machte noch einen Schnitt.
 

 

 

Tag 9: Worüber lässt du mit dir nicht verhandeln?

 

 

 
Hieronymus Lohebrannt: Über Menschlichkeit. Die Barmherzigkeit und Nächstenliebe ist nicht käuflich. 
 
Man wollte von mir Unterstützung, um ein Dorf der ‘Thiere’ auszuheben, eine Gruppe, zu denen mein Geliebter Fido gehört.
Ich hörte eine Bemerkung des Dekans der Universität Dorpat: »Unser Kommandant und seine Leute haben einen Kundschafter gefunden, er wird uns zu dem versteckten Dorf führen. Es kommt mir sehr gelegen, dass Sie mit Musketieren und anderen Berittenen sowie einem Leutnant hier erschienen sind. Wir haben kaum noch Leute, die Unseren sind in Litauen geschlagen worden, tot oder versehrt, viele geflohen. Wir sind… « Er schaute sich kurz um und flüsterte: »… schutzlos.«
Es war die pure Heuchelei. Die Männer dieses Stammes sind sehr schön, darum verdrehten sie den Mädchen des Ortes die Köpfe, und die Studenten gingen leer aus. Das gab böses Blut, und sie wollten das Ärgernis beseitigen.
Ich gab ihm zur Antwort: »Herr Professor, unsere Mission ist kulturpolitisch, nicht militärisch, bei allem Respekt. Entschuldigen Sie mich bitte für ein paar Minuten...«
Anderntags brachen wir noch bei Dunkelheit auf und ritten in scharfem Tempo zu besagtem Dorf, um die Bewohner zu warnen.
Die Dorpater hatte ich mir somit zu Feinden gemacht.

Tag 8: Was verbindest du mit deiner ersten Liebe?

 

 

Hieronymus Lohebrannt:
Desorientiertheit. Als ich mit 15 das erste Mal in ein Mädchen verliebt war, war ich völlig unwissend und ungeschickt. Ich gab mir große Mühe, das zu erfüllen, was offenbar erwartet wurde, und ich hörte mehrmals: »Folge einfach der Stimme deines Herzens, die wird dir sagen, was deiner Holden Freude machen wird.«
Allein – die Stimme des Herzens blieb stumm, und mir war, als müsste ich, einer alten, vergesslichen Magd gleich, einen Besorgungszettel schreiben. Was ich ihr schenken solle, was sagen und wann versuchen, sie zu küssen?
Mein Zaudern hatte ein Ende, als die Eltern des Mädchens sie mit einem jungen Edelmann verlobten. Plötzlich erwachte die Stimme meines Herzens, denn sie hatte Gefallen an dem Bräutigam meiner Freundin gefunden. Doch war auch das aussichtslos, und ich vergaß beide.
Wenn dies aber nicht meine erste Liebe war, dann war es der bezaubernde, anmutige Wachmann vom Rathaus, in welchem ich meinen Dienst tat.

 
 

Samstag, 7. Oktober 2023

Tag 7: Welche Eigenschaften bewunderst du an deinem Feind?

 #charactersofoctober #desschreiberswildeträume

Hieronymus Lohebrannt: 
 
Es schmeckt ja schon etwas gallig, dass man an seinem Feinde etwas bewundern soll. Soll ich die Kriegslist bewundern, mit der er eine Familienkrise meines Freundes genutzt hat, um mir den Bewacher zu nehmen, meinen lieben Fidomaris, den Beschützer, den er ablenkte, indem er ihm ausrichten ließ, sein Vater liege im Sterben? So kam es, dass ich allein war und er mich von seinen Kosaken fortschleppen ließ. Meine gute Stellung beim Gouverneur bedeutet ja auch, dass ich weiß, was die schwedische Krone an die Könige Europas schreibt. Und das wollte mir dieser Mann mit Namen Sachárin abpressen, nannte mich seinen Gast, aber drohte mir Folter an, so ich weiter geschwiegen hätte. Soll ich bewundern, dass er genau wusste, wo er seine Spitzel hinschicken musste?

Donnerstag, 5. Oktober 2023

Tag 6: Worauf bist du besonders stolz?

Hieronymus Lohebrannt:
Ich bin nicht besonders stolz auf etwas, das mich beträfe; denn nicht eigener Verdienst ist es, sondern Gottes Gnade, dass Er mich aus Geschrey, Bluth und Pulverdampf errettet und mich in ein ruhiges Kaufmannskontor versetzet hat, da meine Verwundung am Bein mich zu weiteren Kämpfen in der Infanterie nicht mehr taugen ließ. Somit war auch dies himmlischer Schutz.
Stolz fühle ich aber darum, dass ich die Freundschaft des königlich schwedischen Wachmanns Fidomaris erwarb, die ich mit herzlicher Liebe entgelte. 

Nun hat es mit ihm eine besondere Bewandtnis: Er gehöret zu dem wilden, ungebärdigen Stamme der Heiligen Biester, oder, wie sie sich auch nennen, "Thiere Gottes", zu welchen aber die gewöhnlichen Menschen nur "Thiere" sagen. Diese sind von unglaublicher Wachsamkeit, schlafen im Dienst niemals ein, brauchen überhaupt nur 4 Stunden halbwacher Ruhe. Darum sind sie als Meldereiter und Wachen ebenso begehrt, wie sie als Gegner gefürchtet sind, denn ihre Eigenschaft bringt mit sich, dass sie auch bei schweren Wunden, wo uns gnädige Ohnmacht empfängt, immer noch wach und kampfbereit bleiben. Wie gefürchtet und ob ihrer losen Moral auch verachtet sie sein mögen, so bin ich stolz darauf, dass sein junges Herz mir altem Bürozausel gehöret.



Mittwoch, 4. Oktober 2023

Tag 5: Was sollten Kinder unbedingt lernen? Was möchtest du deinen eigenen weitergeben?

 

Hieronymus Lohebrannt:
Mich treibt nichts, mich zu verehelichen und Kinder zu zeugen. Ob es nun die Härten des Kriegs waren, die mich lehrten, lieber einen tüchtigen Kameraden im Arm zu halten? Die ständige Gegenwart eines Weibes ist mir ärgerlich, die Hauswirtin in meiner Wohnung widmet sich ihren Pflichten bei Tag. Das genügt. Mir ist lieber, dass die Weiber mein Bett meiden.
Hätte ich aber Kinder, so würde ich sie lehren, in allem darauf zu achten, niemandem Schaden zu tun, nicht Mensch noch Tier zu verletzen. Die Not mag gebieten zu fischen, zu jagen oder zu schlachten, darin sollen sie Maß halten und es nicht begehren.
Sie sollen aber auch nicht ihr eigen Glück schmälern um einer hohlen Moral willen. So leben doch die Leute in fernen Ländern zufrieden und sittsam, wiewohl sie keine Kleider tragen, dies berichtete mir ein Kamerad, den es einmal nach Portugiesisch-America verschlug. Die Patres sehen sehr darauf, dass diese Wilden Kleider bekämen; doch würden sie davon krank und stürben. Darum sollen meine Kinder, so ich sie hätte, freie und vernünftige Menschen sein, die ein jedes Geschöpf nach dessen eigenem Willen und Gesetz leben lassen wollten.

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Zum Zeitgeist: "Weib" war damals keineswegs abwertend, sondern bedeutete das, was wir mit "Frau" ausdrücken. Das Wort "Frau" war für höhergestellte, z.B. Adelige oder Heilige reserviert -- "Unsere Liebe Frau" war Maria, die Mutter Jesu.

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Dienstag, 3. Oktober 2023

Tag 4: Worüber hast du mit deinem Vater heftig gestritten? Worüber mit deiner Mutter?

Barbara Drucker #desschreiberswildeträume
#charactersofoctober

Ach! Gäbe es nur Streit! So wüsste ich doch, dass sie noch leben. In der Zeit meiner Kindheit und Jugend gab es keinen Zweifel an der Autorität der Eltern, die Kinder schuldeten Gehorsam und wurden mit der Rute darüber belehrt, wenn es ihnen durch das Wort nicht einging. Nachdem ich nun in Visionen erfuhr, wie anders künftige Zeiten darin verfahren würden (und ich lernte, meine Visionen nicht zu bezweifeln), sah ich erschreckende Bilder von einer Jugend, die sich offen auflehnte und es an jeglichem Respect fehlen ließ. Sofort kam mir in den Sinn, dass auch dies nicht der richtige Weg sein könne, denn wie dumm ein Vater auch sein könnte, er hat seinem Sohne immerhin die Lebenserfahrung von 20 Jahren voraus, und 40, so der Sohn 20 wird. Er wird den Vater also nie an Weisheit einholen können, und ginge es auch nur um das Besohlen der Schuhe.
Meine Eltern verlor ich gar zu früh. Man zerrte mich ins Heer der Königlichen, die gegen die Kaiserlichen zogen; und als ich Jahre später meine Eltern suchte, fand ich nur Gräber, einen Ort für meine Tränen.
 

 

Schreibchallenge 3. Tag: Wer war dein wichtigster Lehrer?

 
Wie nun Aachen mehrheitlich von evangelischen Bürgern bewohnet ward, gab es Unruhen, welche durch die Kaiserlichen niedergeschlagen und die Aufrührer bestrafet wurden. Die Ausweisung der Protestanten betraf auch meine Familie, als ich acht Jahre zählte. Am neuen Orte wollten meine Eltern unbedingt, dass ich schön schriebe, und hatten sie wohl bemerket, dass ich schon mit 6 die Feder zu führen und gar zu schneiden verstand. Doch war mein erster Lehrer in der Aufregung und Umzug ins Exil verstorben. Allein, etwas lesen und schreiben lernen sollte ich wohl. Da fand sich ein Jesuit, der bereit war, mich zu unterrichten, ohne Aufhebens, damit es bei den Nachbarn nicht böses Blut gebe. So manches Mal verwünschte ich seine Strenge, da er mir keine "krummen Hunde" durchgehen ließ. Und ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich einen missratenen Buchstaben mit dem Federmesser wegschaben musste. Doch bin ich dem Pater Scoparius bis heute dankbar, dass er mich Gewissenhaftigkeit gelehret.
 
 

 

Tag 31: Was sind deine nächsten Ziele, und welche Schritte stehen dir als Nächstes bevor?

  #charactersofoctober #desschreiberswildeträume Fido: Mein Ziel ist es, den Kurs der Annäherung von Menschen und Thieren weiter zu verfo...